Ratgeber & Regenten 02 - Das Wehr
nahtlos ineinander übergehende Aspekte eines heiligen Ganzen gewesen waren.
Der Turm des Magiers erhob sich in einem eleganten Bogen aus weißem Marmor und erinnerte an einen schlanken Stiel, der von einer Lotosblüte gekrönt wurde. Die gewaltige Größe störte nicht das Gefühl von Erhabenheit und Ruhe, die von der Blüte ausging. Ein üppiger Garten umgab den Turm, und Diener in einfacher weißer Kleidung gingen darin ihren Aufgaben nach.
Trotz des Verbots der Anwendung von Magie wirkte der Turm des Schulleiters nicht deplaziert. Die Jordaini wurden so unterrichtet, daß sie mit Magie fast genauso vertraut waren wie jeder Magier. Matteo konnte hunderte von Zaubern an der bloßen Geste der Hand eines Magiers ebenso erkennen wie am kombinierten Geruch der Zauberkomponenten. Magier als Herren zu haben war ihm immer normal und natürlich erschienen.
»Normal und natürlich«, murmelte Matteo verbitterter, als ihm bewußt gewesen war. Gar nichts war natürlich an dem Bild, das ihn täglich verfolgte – eine alternde Frau mit bleichem Gesicht und leerem Blick. Er kannte nicht ihren Namen, wußte nichts über sie. Nur, daß sie ihn geboren hatte.
Wenn Tzigones Andeutungen der Wahrheit entsprachen, dann war ihm der Name seines Vaters nur allzu bekannt. Wahrscheinlich hatte er ihn sein ganzes Leben hindurch gehört, ohne je die Bedeutung zu kennen.
Seit seiner Rückkehr ans Kolleg hatte Matteo oft die Gesichter seiner Meister studiert, immer auf der Suche nach etwas, das seine Züge widerspiegelte. Von allen ähnelte ihm Ferris Grail am stärksten. Das verlieh dem anstehenden Gespräch eine beunruhigende Note.
Ein in Grün gekleideter Diener empfing Matteo und führte ihn in ein kleines Vorzimmer, wo er warten sollte, bis der Schulleiter ihn rief. Hier saß er und wartete. Als er nicht mehr sitzen konnte, ging er auf und ab. Für beides hatte er Zeit genug, da die Sonne den Zenit überschritt und eine Strecke zurücklegte, die mehr als dreimal ihrem Durchmesser entsprach, ehe endlich wieder ein Diener auftauchte. Zu der Zeit kochte Matteo innerlich schon. Warum rief Ferris Grail ihn zu sich und ließ ihn dann warten?
Er zwang sich, eine Miene der Gelassenheit zur Schau zu tragen und trat ins Arbeitszimmer des Leiters. Zwei Magier erwarteten ihn. Ferris Grail war ein großer Mann, der in der späten Mitte seines Lebens stand, er war muskulös und trug das einfache weiße Gewand eines Jordain. Man hätte ihn für einen der Krieger-Gelehrten halten können, wären da nicht der sorgfältig gestutzte schwarze Bart und der goldene Anhänger mit seiner Sigel gewesen. Wäre er ein Jordain gewesen, dann hätte er glattrasiert sein müssen und hätte ein Medaillon mit dem Emblem der Jordaini getragen: Halbkreise in grün und gelb, geteilt durch einen kobaltblauen Blitz. Der zweite Magier war älter, faltig geworden durch den Lauf der Zeit und durch das Wirken mächtiger Magie. Vishna, Matteos bevorzugter Meister, war Kampfmagier gewesen, ehe er sich entschlossen hatte, am Jordaini-Kolleg zu unterrichten.
Grail winkte Matteo herein. »Da ist eine Nachricht für dich«, sagte er ohne ein Wort der Begrüßung und deutete auf eine Mondstein-Kugel, die auf einem Sockel befestigt war.
Matteo sah hin und zog konsterniert die Brauen zusammen. In der Kugel spiegelte sich das Gesicht einer Frau, bleich wie Porzellan und übernatürlich ruhig. Ihre dunklen Augen waren ausdruckslos, die Konturen waren mit großem Können mit Kajal nachgezogen und wirkten im Gegensatz zu ihrem unnatürlich weißen Gesicht immens groß. Sie hatte ein hübsches Gesicht, das von einer kunstvollen Perücke aus weißen und silbernen Locken eingerahmt wurde, auf der wiederum eine Silberkrone ruhte.
»Königin Beatrix wartet«, drängte Grail.
Der Jordain warf ihm einen ungläubigen Blick zu. Grail räusperte sich. »Die Königin ist sich der Auflagen ihrer Jordaini-Ratgeber bewußt. Sie hätte dich nicht mit Magie gerufen, wenn es nicht unbedingt nötig wäre. Der Dienst an den Magiern von Halruaa ist die oberste Regel, die du befolgen mußt.«
Matteo war sich dessen nicht sicher, aber er kam zu dem Schluß, daß es nicht schaden konnte, einen Blick in die Mondsteinkugel zu werfen. Noch an diesem Morgen hatte er und Andris den Kampf mit Schwertern geübt, nicht mit dem Dolch, der traditionellen Waffe der Jordaini. Die Wahrheit konnte man sich nicht aussuchen, die Länge der zu wählenden Waffen und die Mittel der Kommunikation aber sehr wohl.
Sein
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