Ratgeber & Regenten 02 - Das Wehr
bist kein Kind mehr.« Vishnas Lächeln nahm den Worten jede mögliche Schärfe. »Aber laß uns offen reden. Was nagt an meinem früheren Studenten?«
Diesmal wählte Matteo seine Worte mit größter Sorgfalt. »Wir Jordaini gelten als die Hüter der halruaanischen Vergangenheit, und doch gibt es so vieles, das wir nicht lernen.«
»Aha. Ich nehme an, du denkst an etwas bestimmtes.«
»An mehrere Dinge. Warum lernen wir nichts über die Geschichte der halruaanischen Elfen?«
»Es gibt keine Elfen, über die man euch etwas beibringen könnte«, erwiderte Vishna.
»Genau, und doch gab es einst zahlreiche Elfen in den Akhlaurs Sumpf und dem von Kilmaruu. Es kommt mir seltsam vor, daß sich zwei solche Orte, die beide keine Sümpfe aus Urzeiten sind, ausgerechnet auf den Gräbern von Elfensiedlungen entwickeln sollen.«
Vishna reagierte mit einem nachsichtigen Lächeln und wiederholte das Jordaini-Sprichwort über den Sumpf von Kilmaruu, der demnach nur existierte, damit es in Zalasuu nie zu viele Narren gab.
»Andris ist kein Narr«, erklärte Matteo, »und dafür sollte Halruaa Mystra dankbar sein. Ist Euch nicht aufgefallen, daß die Untoten von Kilmaruu zur Ruhe gekommen sind?«
»Jetzt, da du es erwähnst«, sagte Vishna nachdenklich. »Auf den Höfen und in den Küstenregionen, die an den Sumpf grenzen, war es in letzter Zeit ruhig. Du sagst, das sei Andris’ Verdienst?«
»Er entwickelte eine Strategie, um den Sumpf von den Untoten zu befreien. Er legte sie als These für die fünfte Stufe vor. Ich bin überrascht, daß Ihr darüber nichts wißt.«
»Hmm«, brummte Vishna nachdenklich. Sein faltiges Gesicht ließ Besorgnis erkennen.
»Das Jordaini-Kolleg ist mit Informationen nicht so freigiebig, wie sein Ruf vermuten läßt«, fuhr Matteo fort. »Ich habe mit eigenen Augen Beweise dafür gesehen, daß früher Elfen in Akhlaurs Sumpf lebten. Warum wird das nicht gelehrt?«
Vishna spreizte die Finger, die Handflächen nach oben gewandt. »Solche Dinge sind schwierig. Wenn es um Elfen geht, gibt es stets mehr Legenden als Fakten. Du könntest ebensogut versuchen, die Wahrheit über die Kabale herauszufinden.«
Sein Tonfall war locker und spielerisch, als hätte er das unübertreffliche Beispiel für ein sinnloses Unterfangen geliefert, doch Matteo war nicht in der Stimmung für Vishnas Unbekümmertheit. Er verschränkte die Arme und betrachtete ernst den lächelnden Magier.
»Vielleicht wären beide Dinge es wert, sich näher mit ihnen zu befassen.«
Vishnas Lächeln verschwand, und sein Blick ließ Bestürzung erkennen.
»Ihr findet das nicht«, stellte Matteo fest.
»Nein. Die Elfen gibt es nicht mehr, von ein paar wenigen abgesehen. So ist die Natur. Vor ihrer Zeit herrschten Drachen. Ihre Zahl hat sich drastisch verringert, und doch gefiele es ihnen nicht, wenn du ihre Eier mitnähmest, um sie für sie auszubrüten. Genauso wäre es den Elfen unangenehm, wenn du dich in ihr Leben einmischtest, und sie würden dich nicht mit offenen Armen empfangen, wenn du versuchtest, ihre Geschichte zu erforschen.«
»Und die Kabale? Mein Leben lang habe ich den Namen gehört , aber wir haben nie etwas über sie gelernt .«
»Aus gutem Grund. Die Kabale ist eine besondere Art von Legende«, sagte Vishna langsam. »Die Art von Legende, die im Lauf der Zeit Gestalt annimmt, geschaffen aus Mutmaßungen, die so oft wiederholt wurden, daß sie wahr zu sein scheinen.«
»Manche sagen, es handle sich um eine äußerst geheime Verschwörung.«
Vishna schnaubte verächtlich. »Verschwörungen sind etwas nützliches. Sie lenken den oberflächlichen, trägen Verstand davon ab, sich echte Gedanken zu machen. Menschen betrachten drängende Warnungen als Beweis für Weisheit. Wir sind beide schon Halruaanern begegnet, die einen gutgelaunten Weisen für einen Götterlästerer oder bestenfalls für einen Scharlatan halten würden.«
»Das Sprichwort sagt doch: Verwechsele nie schlechte Laune mit großer Nachdenklichkeit.«
»Genau, mein Junge.« Der Magier wirkte erleichtert, daß sich das Gespräch wieder in eine Richtung verlagerte, die ihm genehm war. »Wann wirst du dich in Beatrix’ Angelegenheiten auf den Weg machen?«
»Morgen früh«, sagte Matteo. »Ich reite mit Andris zum Tempel des Azuth.«
Der Alte sah ihn verwundert an. »Aber Andris ist doch schon aufgebrochen?«
»Was?«
Matteos schneidender Tonfall erschreckte Vishna. »Ja«, versicherte er, als hätte Matteo an seiner Aussage gezweifelt. »Vom
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