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Rattentanz

Titel: Rattentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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nicht viel. Dann können wir endlich in aller Ruhe unser Ende planen. Oh, trink jetzt endlich, komm, trink das leckere Tröpfchen, mein guter, treuer Freund!
    Melissentee durfte nicht zu lange ziehen, dann wurde er bitter, und wenn die Kräuter zu kurz im heißen Wasser lagen, schmeckte er fad, weder Wasser, noch Tee. Aber dieser Tee hier, der war genau richtig. Thomas wusste inzwischen, wie er seinen Tee zubereiten musste, wie viel Minuten verstreichen mussten, bevor der Idealzustand erreicht war. Den Blick auf seine Armbanduhr gerichtet, stand er dann immer in der Küche und erwartete voller Ungeduld den richtigen Augenblick.
    Und der richtige Augenblick war gekommen! Sein Durst war so groß.

39
    07:38 Uhr, Krankenhaus Donaueschingen, Intensivstation
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    Eva erwachte und wechselte als Erstes die leere Infusionsflasche. Aleksandr Glück betrachtete sie dabei fast mitleidig.
    »Warum tun Sie das noch, Schwester?«, fragte er, »Sie verlängern doch nur meinen Abschied.«
    »Soll ich Sie hier verdursten lassen?«, antwortete Eva mit einer Gegenfrage. Während sie eine weitere Infusionsflasche öffnete, den Inhalt in eine Waschschüssel goss und Glück das Gesicht wusch, sagte sie: »Sicher kommt heute Ihre Frau. Bestimmt«, aber hinter den Worten fehlte das Ausrufezeichen.
    »Sie werden nicht ewig hierbleiben können, Schwester. Der kleine Doktor will zu seiner schwangeren Frau und der Polizist wird auch jemanden haben, zu dem es ihn zieht. Gehen Sie zu Ihrer Kleinen, ja?«
    Eva hielt im Waschen inne. »Und wie soll ich sicher nach Hause kommen?« Ihr rannen Tränen über die Wangen. Ihr war schon wieder übel und der einzige Grund, warum sie sich heute Morgen erst einmal übergeben hatte, war, dass sie einfach nichts im Magen hatte, was rauskonnte. Sie warf den Waschlappen in die Schüssel und setzte sich auf den Boden. Das alles konnte niemand aushalten! Das war zu viel für einen allein!
    »Nehmen Sie Ihr Auto oder ein Fahrrad, Ihre Füße. Es gibt viele Möglichkeiten, an ein Ziel zu gelangen. Wichtig ist nur der erste Schritt.«
    »Aber was wird aus Ihnen?«
    »Ich werde sterben.«
    Eva schüttelte den Kopf, stand auf und leerte die Waschschüssel. »Ich werde Sie bestimmt nicht mutterseelenallein zurücklassen. Nein!« Das Ausrufezeichen war zurück und damit auch ihre Selbstsicherheit. »Mit all den Leichen ringsum und den Typen nebenan – ich bleibe auf jeden Fall, bis Ihre Frau hier ist. Vorher gehe ich nicht!!«
    Wenig später saßen Eva, Achim Stiller und Joachim Beck im Aufenthaltsraum und frühstückten. Es gab Knäckebrot und Zwieback, da zu Mineralwasser und einige krankenhaustypische kleine Portionen Butter, Marmelade und Wurst. Eva hatte die Glastür zur Station hinter sich geschlossen und für einige Minuten die Aura des Todes ausgesperrt.
    »Irgendjemand von uns muss Glücks Frau holen«, sagte sie zwischen zwei Bissen. »Er wirkt heute, als habe er mit allem abgeschlossen.« Stiller deutete ein Nicken an, ohne Eva dabei anzusehen, Beck reagierte überhaupt nicht.
    »Hallo!« Eva klopfte auf den Tisch. »Haben Sie mich nicht gehört? Es muss jemand Glücks Frau herholen!«
    Beck sah zur Seite. Was er gestern Vormittag erlebt hatte, steckte ihm noch in den Knochen. Er wollte nicht noch einmal in diese Stadt! Er wollte unsichtbar sein!
    »Ich gehe.« Es war Stiller. Er zündete sich eine Zigarette an und schnippte die Asche achtlos auf den Boden. Eva und Beck sahen sich an, in Becks Augen leuchteten Überraschung und Erleichterung auf. Stiller lachte ein wenig unbehaglich und rollte die großen, hellen Augäpfel. »Ich hole seine Frau und danach fahre ich nach Freiburg zu meiner Frau.« Er stand auf und zog seinen weiten Arztkittel aus. »Sie beide sollten auch von hier verschwinden! Bei all den Leichen ist es nur eine Frage der Zeit, bis es hier stinkt wie auf einer Müllhalde. Und ob wir vor den drei Typen nebenan wirklich sicher sein können«, er strich sein fettiges Haar aus der Stirn, »wage ich zu bezweifeln.«
    Stiller verließ das Krankenhaus. Im Wartebereich saß eine alte Frau, im Nachthemd und mit schlohweißen Haaren. Müde hatte sie die Hand gehoben, aber Stiller war achtlos an ihr vorbei nach draußen gerannt. Er lief zum Parkdeck unterhalb des Hubschrauberlandeplat-zes, sah sich immer wieder nach allen Seiten um als verfolge ihn jemand und stieg in seinen knallroten Sportwagen. Die Schranke zum Parkplatz lag abgebrochen am Boden. Er jagte mit Vollgas vom Klinikgelände. An der

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