Rattentanz
einfach ist das. Das war’s.«
Kaum war Nussberger fertig, im Raum war vereinzeltes Klatschen zu hören und die Menschen tuschelten, dankten Gott für dieses Wunder, da drängte sich Roland Basler nach vorn und sprang auf den Tisch. Basler betrieb seit Jahren in Bonndorf eine kleine Anwaltskanzlei und hatte sich auf den immer lukrativeren Zweig der Familienstreitigkeiten spezialisiert. Scheidungen, Unterhaltsklagen, Erbrecht – bei ihm war man fast immer richtig. Er war im Männergesangsverein, ging re gelmäßig joggen und hatte als Vorstandsmitglied der Bonndorfer Narrenzunft jedes Jahr seine Kanzlei zur Fasnetszeit geschlossen. Vor drei Jahren war er auf Anhieb in den Bonndorfer Gemeinderat gewählt worden und insgeheim liebäugelte er mit dem Gedanken, die kommende Bürgermeisterwahl für sich zu entscheiden.
Basler trug sogar jetzt noch einen seiner grauen Anzüge und eine bunte Krawatte. So, wie er auf den Tisch sprang, wirkte er frisch und energiegeladen und er lächelte erst einmal breit jeden Einzelnen an, bevor er etwas sagte.
»Freunde, liebe Wellendingerinnen, liebe Wellendinger!«
»Liebe Wellendingerinnen, liebe Wellendinger«, äffte ihn jemand hinter vorgehaltener Hand nach. »Ist das hier ’ne Wahlkampfveranstaltung?«
Basler wartete, bis Ruhe eingekehrt war und knöpfte sein Jackett zu. »Wir alle«, er breitete die Arme aus und schien den ganzen Saal an seine breite Brust drücken zu wollen, »wir alle sind von den Ereignissen der letzten Stunden völlig überrascht und vielleicht auch ein Stück überfordert. Es ist ja nicht nur, dass plötzlich unser gewohntes Leben vollkommen auf den Kopf gestellt wurde, das allein würde ja schon reichen. Wir müssen uns auch noch mit den Folgen der Flugzeugkatastrophen auseinandersetzen und mit irgendwelchen verrückten Deserteuren herumschlagen.«
»Wissen wir doch alles! Komm endlich zur Sache!«
Basler überhörte den Einwurf, lächelte und drehte sich zu Frieder Faust um. »Wir sollten uns bei Frieder bedanken! Als die meisten von uns gestern noch unter Schock standen, hat er einen klaren Kopf bewiesen und angepackt! Komm her, Frieder!« Basler winkte Faust zu sich und begann zu applaudieren.
Faust stand sichtlich verlegen neben dem Tisch. Aus dem Saal kamen vereinzelte Bravorufe.
Basler beugte sich gönnerhaft zu Faust herab und tätschelte dessen muskulöse Schulter, während Beifall und Rufe immer weiter anschwollen. Faust ließ mit hochrotem Kopf das Lob über sich ergehen, er lächelte und fühlte sich gut. Er war in diesem Augenblick froh, niemals aus Wellendingen fortgegangen zu sein. Hier war sein Zuhause, hier gehörte er hin!
Der Beifall tat den Menschen gut. Sie applaudierten gemeinsam einem aus ihrer Mitte und fühlten sich nicht mehr so allein. Sie jubelten einem zu, der gezeigt hatte, dass man weitermachen konnte, dass man weitermachen musste. Ihre Rufe und das Klatschen vereinten sich und gingen in rhythmischen Beifall über – eine Demonstration ihrer Stärke und Einheit, und plötzlich schienen ihnen die Schwie rigkeiten nur noch halb so groß, das Jetzt nicht mehr als unüberwindliches Hindernis. Eine Zukunft schien möglich.
Schließlich fand Basler, es sei nun genug und brachte mit ausgebrei teten Armen die Masse zum Schweigen. »Danke, Frieder.« Er lächelte und entließ Faust zurück an dessen Platz am Tresen. Dann wandte er sich wieder seinen Zuhörern zu. »Wenn wir uns an Männern wie Frieder ein Beispiel nehmen, werden wir es schaffen, egal, was auch immer noch kommen mag! Es bringt doch nichts, wenn wir über das Warum nachgrübeln. Vielleicht werden wir irgendwann einmal die Ursache der Katastrophe erfahren, allerdings dürfte uns das Wissen darum keinen Deut weiterbringen. Es nützt auch nichts, wenn wir uns wie Schnecken in unsere Häuser zurückziehen und darauf warten, dass irgendjemand kommt und uns hilft. Wer sollte das sein? Wie es aussieht, ist jede staatliche Ordnung zusammengebrochen. Die Bonndorfer Polizeistation steht leer und wenn Soldaten mordend durch die Gegend ziehen, dann könnt ihr euch sicher vorstellen, wie es jetzt anderswo zugehen mag. Was wir jetzt brauchen, ist eine Vision unserer Zukunft!«
»Wir brauchen sauberes Trinkwasser und keine Vision von sauberem Trinkwasser.«
Basler lachte kurz mit dem größten Teil des Saales. »Das ist mir auch klar«, antwortete er, »aber wenn ich Vision sage, meine ich, dass wir uns alle gemeinsam ein Ziel setzen. Wir müssen wissen, wohin wir gehen!
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