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Rattentanz

Titel: Rattentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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ja.
    Thomas schob die wulstige Unterlippe noch ein Stück weiter vor. Ihn fragte wieder keiner! Nicht einmal die eigenen verrückten Stimmen waren an seiner Meinung interessiert. Wir sind nicht verrückt!, antwortete prompt Nummer zwei auf seine Gedanken. Na ja, jedenfalls nicht alle, fügte sie hinzu und ihr war deutlich die Freude anzumerken, mit der sie Nummer drei eins ausgewischt hatte.
    Ich bin auch nicht verrückt!!!, schrie dieser und Nummer zwei kicherte. Ich bin nicht verrückt und ich will jetzt endlich sterben!
    Aber nicht, bevor nicht geklärt ist, welche Schuhe wir im Sarg tragen werden. Ich wünsche mir rote Lackstiefel, die bis zu den Knien gehen. Wenn wir beerdigt werden, erklärte Nummer eins, dann werden sie einen Mann beerdigen.
    Weiß ich selbstverständlich. Und?
    Ein Mann in roten Lackstiefeln?
    Warum nicht. Sieht ja keiner, wenn wir den Deckel zumachen. Stiefel, rot wie Blut, knurrte Nummer drei. Es wird aussehen, als wä ren wir durch einen Ozean aus Blut gewatet, um endlich vor den Tod treten zu dürfen. Jaaa, das ist es. Er senkte die Stimme und flüsterte wie der erleuchtete Vorreiter einer neuen Sekte: Derr Tod wirrd uns lieben, wenn wirr mit schwarrzem Anzug und rroten Stiefeln vorr ihn trreten! Err wirrd vorr uns in die Knie gehen und uns anbeten und eh rren und lobprreisen unserre Namen. Wirr werrden derr Gott des Todes!
    Thomas klammerte sich an seine Thermosflasche.

45
    12:49, Krankenhaus Donaueschingen, Operationssaal 3
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    Mehmet sprang, ohne nachzudenken. Er wollte Fuchs, er wollte diese letzte Flasche! Die Welt hatte sich in diesem Moment auf genau diese beiden Dinge reduziert: Fuchs und Flasche. Es existierte nichts anderes mehr in seiner Wahrnehmung. Er sah Ritter nicht mehr, der bewusstlos in seinen eigenen Fäkalien ruhte. Er sah den Leichnam nicht, nicht den offenen Bauch, nicht das Gedärm daneben. Er war jetzt nicht mehr der kleine Türkenbengel, den man herumschubsen konnte, nicht mehr das Kind, das dem eigenen Vater Anteile seiner Ladendiebstähle abgeben musste. Er war jetzt ein Mann, er war stark und er war zornig und wehe dem, der seinen Zorn abbekam!
    Mehmet hielt das Skalpell in seiner ausgestreckten Hand und sprang – Superman für Arme. Aber wieso lächelte Fuchs noch? Wieso versuchte der nicht auszuweichen?
    Während er auf Fuchs zuflog, sah er den Grund für dessen Gelassenheit: Der Gegner hielt einen weiteren Trokar in seiner Linken!
    Mehmet hatte ihn fast erreicht, da schoss Fuchs’ Hand nach vorn – schnell und kalt, ohne dem Jungen eine Chance zu lassen. Fuchs duckte sich zur Seite weg und entging nur knapp dem Skalpell. Dann bohr te sich das spitze Rohr in Mehmets Brust – ein Zauberstab, der die Wut in den Augen des Jungen mit einem Schlag in Überraschung verwandelte. Fuchs ließ los und rollte sich zur Seite weg. Mehmet schlug gegen das Regal und zu Boden und griff mit beiden Händen nach dem Ende des Trokares. Der war knapp unterhalb des Herzens eingedrungen. Aus seinem offenen Ende sprudelte Blut, zu viel und zu schnell, um noch helfen zu können. Mehmet sah auf das Ding in seiner Brust, dann auf Fuchs. Er wollte etwas sagen, aber aus seinem Mund kam nur noch blutiger Schaum. War dies das Ende? Wieso? Wieso er, wieso nicht Fuchs?
    »Dumm gelaufen, was, Kleiner?« Fuchs stand vor Mehmet und öffnete die Flasche. Er nahm einen Schluck. Das war das Letzte, was Mehmet sah. Mit offenen Augen wurde es finster, der Gestank nach Tod und Fäkalien ließ nach, Fuchs’ Lachen wurde leiser und Mehmets eigener Körper plötzlich leicht wie eine Feder im Wind.
    Eine Feder im Wind.
    Der Wind trug ihn davon.
    Und Hermann Fuchs blieb allein zurück. Allein und ohne Helfer.

46
    13:50 Uhr, Krankenhaus Donaueschingen, Intensivstation
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    Olga Glück sah aus wie immer. Sie ging ohne ein Wort an Eva vorbei ans Bett ihres Mannes, stellte ihre Handtasche mit den Stricksachen auf den Boden und schob das rote Kopftuch zurecht.
    »Leben, lebt er noch?«, fragte sie.
    Die Worte kamen schwer über ihre Lippen, eine fremde Sprache in einem fremden Land, dem Land ihres Mannes. Eva nickte und nahm die Hand der alten Frau. Eva war erleichtert. Jetzt konnte sie endlich zu Lea.
    »Hat Dr. Stiller Sie also doch hergebracht! Und wir dachten schon, ihm sei etwas passiert oder er ist einfach abgehauen.« Eva lächelte.
    »Wo haben Sie ihn gelassen?«
    »Dr. Stiller?«
    Eva und der an der Tür stehende Joachim Beck nickten.
    »Ich habe keinen Doktor nicht gesehen«, flüsterte

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