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Rattentanz

Titel: Rattentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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geboren!
    Fünfter Stoß. Ritter wird dich auseinandernehmen!
    Sechster Stoß. Und ich werde dir ganz langsam die Eingeweide rausreißen.
    Siebter Stoß. Mit einem Löffel werde ich dir die Augen entfernen!
    Achter Stoß. Und dann wirst du … Mehmet packte den Trokar mit beiden Händen und schlug wie von Sinnen mit aller Kraft gegen die Fensterkuppel.
    Neunter Stoß. Hier, nimm das, du widerlicher alter Sack! Hier, das ist für dich!
    Mehmet holte zu einem weiteren Stoß aus. Er schlug die Metallspitze mit aller Kraft in den Kunststoff!
    Plötzlich durchzogen kleine Risse die Scheibe und, anders als bisher sprang der Trokar nicht zurück, sondern durchstieß diesmal den Kunststoff. Mehmet wurde von dem unerwarteten Erfolg so überrascht, dass er den Trokar losließ und mit ausgebreiteten Armen auf Fuchs’ Schultern zirkusreif balancierte. Er ruderte mit den Armen, versuchte das Gleichgewicht zu halten. Seine Fingerspitzen berührten noch einmal den Fensterrahmen und die Decke, dann kippte er langsam nach hinten weg.
    Fuchs, der die abrupte Gewichtsverlagerung über sich spürte, ging instinktiv einen Schritt zurück, packte Mehmets Waden und drückte dagegen. Hätte er das nicht getan, wäre der Junge aus über drei Metern Höhe auf den harten Fliesenboden geschlagen oder, mit etwas Glück, auf dem am Boden liegenden Leichnam gelandet. So aber schaffte er es im letzten Moment, das Gleichgewicht zurückzuerlangen. Kreidebleich setzte er sich auf Fuchs’ Schultern, dann ließ er sich auf den Tisch gleiten.
    »He, das hast du toll gemacht!«, lobte Fuchs und setzte sich neben Mehmet auf den Tisch. »Nachher, wenn du dich ausgeruht hast, bekommst du das Fenster kaputt!«
    »Nachher?« Mehmet schüttelte den Kopf und in seinen schwarzen Augen blitzte Wut auf. »Ich kletter nie wieder da hoch! Ich wäre beinahe auf den Boden geknallt, Mann!«
    »Bist du aber nicht. Und es ist niemand sonst hier, der uns helfen kann. Soll ich etwa auf deine Schultern steigen, he? Du Fliegengewicht würdest zusammenbrechen, bevor ich richtig aufgestiegen bin.«
    »Dann warten wir eben, bis es Ritter besser geht. Er ist sowieso stärker als wir beide zusammen, er kann dich mit Leichtigkeit hochheben.«
    »Wenn er gesund wäre sicher, aber er ist nicht gesund. Selbst wenn wir Medikamente und Essen und Trinken hätten, würde es Tage dauern, bis der sein Bein wieder benutzen kann. Es wäre Selbstmord, jetzt auf Ritter zu hoffen! Die einzige Chance, die dein großer Held noch hat, sind wir und dass wir beide einen Weg hier rausfinden, mein Junge! Kleiner, wenn du jetzt aufgibst, war’s das!«
    Und das war von Fuchs nicht einfach so dahergesagt. Sollte Mehmet jetzt kneifen, wäre der einzige Ausgang plötzlich wieder unerreichbar weit weg, dann würden sie hier in den kommenden Tagen langsam wie Dörrobst vertrocknen und schließlich, einer nach dem anderen, sang-und klanglos abtreten. Fuchs brauchte diesen kleinen Feigling. Er war auf dessen Hilfe angewiesen.
    Mehmet sah zum Deckenfenster hinauf. Der Trokar steckte im Kunststoff, die Spitze draußen, das dicke Ende hing in den Raum. Wie ein Trinkröhrchen bei Mc Donalds. Cola im Plastikbecher mit Deckel. Gleich würde da oben ein riesiger Mund erscheinen, dicke Lippen den Trokartrinkhalm umschließen und zu saugen beginnen und ihn und diesen alten Widerling durch das enge Rohr zerren. Und verschlucken.
    Mehmet schüttelte den Kopf, sprang vom Tisch und ging zum Regal mit der letzten Flasche Kochsalzlösung. Er nahm die Flasche und ein Skalpell, mit dem er den Hals der Plastikflasche abschneiden wollte, sah aus den Augenwinkeln noch einmal zum Fenster hinauf und schüttelte wieder den Kopf.
    »Ich geh nicht mehr da rauf!«
    Fuchs sprang vom Tisch auf Mehmet zu und riss diesem die Flasche aus der Hand. Mehmet schoss herum. Das Skalpell, das er wie einen Dolch in der Hand hielt, zerschnitt die Luft und fuhr in Fuchs’ Mantel wie in weiche Butter. Fuchs zog den Bauch ein und wankte einen Schritt zurück. Aber Mehmet setzte nach, fuchtelte wild mit der Waffe herum.
    »Gib die Flasche her, du alter Wichser!«, kreischte seine hohe Stim me.
    »Hol sie dir doch, wenn du kannst«, flüsterte Fuchs. Er war wieder am Operationstisch angelangt. Er ging um diesen herum, ließ den tobenden Jungen dabei keinen Moment aus den Augen, und brachte so den Tisch zwischen sich und Mehmet. »Na los doch, nimm sie. Komm«, er hielt die Flasche in die Höhe, »hier ist sie. Ganz nah. Und doch so fern!«, und im

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