Rattentanz
kostete er den Wein.
56
11:49 Uhr, Wellendingen
----
Am späten Vormittag dieses 25. Mai beendete Christoph Eisele sei ne kurze, aber sehr erfolgreiche Karriere als Beerdigungsunternehmer. Er verspürte einen Anflug von Stolz auf das Geleistete. Alles hat te reibungslos geklappt und fast alle Männer des Dorfes hatten irgend wann einmal mit angefasst. Gemeinsam hatten sie das Grab ausgehoben, es mit Planen ausgelegt, gekalkt und schließlich die Leichen eingesammelt. Dieses erste gemeinsame Projekt nach dem Stromausfall war nun fast abgeschlossen.
Eisele sah gerade zu, wie Uwe Sigg mit dem von Albickers geliehenen Traktor und einem hinten angebrachten Schieber das Grab schloss, als Jakob Kühne neben ihm auftauchte. Der Pfarrer hatte den steilen Anstieg zu Fuß bewältigen müssen. Jakob Kühne brauchte einige Zeit zum Verschnaufen.
»Ich dachte«, begann er schließlich und musste dazwischen immer wieder nach Luft schnappen, »ich dachte, wir sollten den Opfern der Katastrophe ein ordentliches Begräbnis ermöglichen.«
»Wie?« Eisele erschrak. In seinem Kopf sah er sich schon das Massengrab wieder öffnen und jedes einzelne Opfer separat zu Grabe tragen.
»Ich dachte an einen Gottesdienst morgen Vormittag. Hier, am Grab.«
»Ja. Natürlich. Von mir aus«, Eisele war erleichtert. »Würde sicher auch dem einen oder anderen im Dorf gut tun, nach dem, was alles so geschehen ist, gerade auch letzte Nacht.« Eisele spielte auf einen Einbruch an, der vergangene Nacht stattgefunden hatte und im Ort für einige Aufregung sorgte. Edeltraud Winterhalder, die Frau des KroneWirtes, hatte ihren Mann am frühen Morgen besinnungslos im Vorratskeller des Gasthauses gefunden. Er hatte einige blaue Flecken, vor allem im Gesicht und am Hals, sonst aber keine sichtbaren Verletzungen, die seinen Zustand – er war noch immer ohne Bewusstsein – erklärten. Im Moment lag er in seinem Bett, seine Frau Edeltraud und Hildegund Teufel wachten bei ihm. Im Keller, hatte Edeltraud Winterhalder festgestellt, fehlten die meisten Lebensmittel und sämtliche Spirituosen. Wer, fragte man sich zu Recht im Ort, wer war überhaupt noch sicher, wenn jemand völlig unbemerkt und von einem zahnlosen Gesetz unbehelligt in der Mitte des Ortes einbrechen konnte? Basler, den man sofort gerufen hatte, nahm dies zum Anlass, seinen am Vorabend von den anderen Ratsmitgliedern noch abgelehnten Vorschlag einer Sicherheitstruppe zu erneuern, diesmal allerdings vor den empfänglichen Zuhörern, die sich vor dem Gasthaus versammelt hatten. Wir werden das heute Abend im Rat klären und eine Lösung finden, hatte er leutselig versprochen. Dann hatte er Kiefer zu sich gewunken.
»Könntest du heute vielleicht einmal bei mir in der Kirche vorbeikommen?«, fragte Kühne.
»Seh’ ich aus, als ob ich’s nötig hätte?« Eisele lachte und klopfte sich den Staub aus den Kleidern. »Obwohl, wenn man’s recht bedenkt –
ich hab zwar nichts zu beichten, aber ein wenig seelischer Beistand wäre nach dem hier«, er nickte Richtung Massengrab, »bestimmt nicht verkehrt.«
»Ich meinte eher die Kirchenglocken. Ich fände es schön, wenn wenigstens eine von ihnen morgen zum Gottesdienst zu hören wäre. Aber da ja sogar die Kirchenglocken auf Knopfdruck funktionieren – ach, du weißt ja selbst.«
»Und was soll ich da machen?«
»Ich dachte, du könntest mal auf den Turm raufsteigen und vielleicht kann man ja irgendwo ein Seil befestigen und von Hand läuten, wie früher.«
Eisele kratzte sich am Kopf und dachte nach. »Irgendwas kann man da sicher machen. Aber auf mich wartet, wenn wir hier fertig sind, schon die nächste undankbare Aufgabe.« Pfarrer Kühne wollte mehr wissen. »Wir haben gestern Abend beschlossen, alle Benzin-und Die-selvorräte den Albickers zur Verfügung zu stellen. Ich darf heute Nach mittag also durchs Dorf ziehen und versuchen, die Leute davon zu überzeugen, dass sie zu Lydia und Andreas hochfahren und sich dort den Tank leer pumpen lassen. Vielleicht sind sie ja bereit, gegen Milch zu tauschen. Damit kann zwar keiner fahren, aber …«, überleben, dachte er den Satz zu Ende.
Dem Pfarrer musste Ähnliches durch den Kopf gehen, denn er betrachtete nachdenklich sein Dorf unter sich.
»Frag doch mal Bardo. Der müsste das hinbekommen, als alter Tischler.«
»Gute Idee!« Kühne atmete zweimal tief durch, dann wandte er sich dem Heimweg zu. »Aber, wenn du schon bei jedem im Ort anklopfst«, rief er im Gehen, »dann sag ihnen doch
Weitere Kostenlose Bücher