Rattentanz
Kommunionunterricht die eine oder andere Ein-zelstunde zu gönnen, die unfreiwillige Versetzung nach Wellendingen eingebracht. Als die Umstände seiner Versetzung im Ort bekannt wurden, stand Bodenmüller eines Sonntags in einer leeren Kirche. Keiner da, der seinen Gottesdienst besuchen wollte, kein Ministrant, selbst der Kirchendiener erschien nicht. Bodenmüller hielt eine kurze Predigt – zugegebenermaßen nicht die mitreißendste seines Lebens. Er verschwand klammheimlich und mit unbekanntem Ziel, nachdem Hildegund Teufel ihm den Grund für den Boykott seiner Gemeinde mitgeteilt hatte. Das folgende halbe Jahr betreute der Bonndorfer Pfarrer Albert die kleine Gemeinde, bis eines Tages endlich der junge Xaver Zenzinger erschien. Wellendingen war seine erste Pfarrei.
Er erledigte seine Sache zur Zufriedenheit fast aller. Er war zurück haltend, freundlich und den Traditionen verhaftet, so wie es sich gehörte. Fast jeder rechnete eigentlich damit, dass man Zenzinger über kurz oder lang Aufgaben in einer bedeutenderen Pfarrei übertragen wür de. Dazu kam es aber erst fünfundzwanzig Jahre später.
Zenzinger, im gleichen Alter wie Hildegund Teufel, wurde die große Liebe ihres Lebens. Äußerlich attraktiv, in seiner Art ruhig und bestimmt, hatte er alles, um das Herz der damals durchaus anziehenden Haushälterin im Sturm zu erobern. Neben Gott war er das Zentrum ihres Lebens. Um ihn drehte sich jede Minute des folgenden Vierteljahrhunderts. Stand er auf, war sie bereits munter, hatte er Durst, hielt sie längst ein Glas in der Hand und war er krank, war sie es, die ihn pflegte und darüber wachte, dass er seine Medizin pünktlich nahm. Selten wich sie von Pfarrer Zenzingers Seite. Er war ihr Pfarrer. Eifersüchtig wachte sie darüber, dass ihm niemand zu nahekam und waren doch einmal Besucherinnen im Haus, so sorgte Hildegund Teufel schon dafür, dass die Besuche sich nicht zu sehr in die Länge zogen.
Was sie für ihn empfand, gestand sie ihm nie. Sie war zufrieden mit dem, was war. Als Zwölfjährige von ihrem Onkel missbraucht, hatte sie ihr Leben lang eine tiefe Abneigung gegen jede körperliche Nähe. Als die heranwachsende Hildegund damals versucht hatte, mit ihrer Mutter über das Vorgefallene zu sprechen, hatte diese zur Tür und dem offenen Fenster geblickt und schnell die Hand auf Hildegunds Mund gelegt. »Sei still, Kind! Sag so etwas nicht! Nie wieder!«
Hildegund war folgsam und schwieg. Nie mehr hatte sie seitdem darüber geredet und nach der Hauswirtschaftslehre in ihrer Heimatstadt Freiburg war für sie klar, dass nur ein Pfarrhaushalt infrage kam. Pfarrer waren in ihrer Vorstellung geschlechtslose Wesen. Ihre Zuneigung zu Pfarrer Zenzinger brachte sie so auch niemals in einen ernsthaften Konflikt mit sich selbst. Sie wollte einfach nur in seiner Nä he sein, ihn umsorgen und auf ihn aufpassen. Das konnte sie auch, bis der angereiste Bischof anlässlich der Feier zu Zenzingers fünfund zwanzigjährigem Dienstjubiläum zur Überraschung aller verkün dete, dass Xaver Zenzinger in wenigen Wochen in Mainz erwartet werde. Dort würden seiner Erfahrung und seinem Wissen und Können entsprechende Aufgaben auf ihn warten, so der Bischof. Pfarrer Zenzinger, den die Nachricht selbst völlig unvorbereitet getroffen hatte, verließ drei Wochen später Wellendingen, seine Pfarrei und Gemein de. Und er verließ Hildegund Teufel, ohne zu wissen, was sie für ihn empfand.
Der vierte Pfarrer dem sie diente, war Pfarrer Seidler. Dieser, stets bemüht, die unerklärliche Abneigung seiner Haushälterin ihm gegenüber zu überwinden, wurde von Hildegund Teufel während der sechs Jahre seines Dienstes in Wellendingen nur gelitten. Als Seidler ernsthaft darüber nachdachte, einem Gemeindemitglied den kirchlichen Segen zu dessen Ehe mit einer Protestantin zu geben, war es nun auch mit der Duldung der Haushälterin vorbei. Sechs Monate später bat er entnervt um seine Versetzung.
Den jetzigen Pfarrer, Jakob Kühne, kannte sie nur noch aus der Kirche. Ihre Nachfolgerin im Amt der Haushälterin, Fräulein Guhl, wach te über ihn, wie sie selbst einmal über ihren Pfarrer Zenzinger. Hilde gund Teufel hatte die Arbeit im Pfarrhaus aus Altersgründen aufgeben müssen. Fortan lebte sie in einem alten Bauernhaus, welches der Kirche gehörte und an dem seit Jahrzehnten keiner mehr etwas renoviert hatte. Frieder Faust hatte es einmal so ausgedrückt: »Das Einzige, was hier wirklich noch in Ordnung ist, ist das Dach. Der
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