Rattentanz
Pfarrer erzählte, dass es hauptsächlich Schmerzmittel und Antibiotika seien!«
»Antibiotika!« Petra Sutter nahm ihren Mann in die Arme. Endlich hatte sie verstanden. Seine Augen leuchteten und etwas sprang aus ihnen in die Augen seiner Frau über: Hoffnung, ein kleines bisschen Hoffnung. Dann fragte sie, auf wen geschossen worden war. »Jemand von uns?«
Sutter schüttelte den Kopf. »Nein, zum Glück nicht. Eva war mit zwei Männern unterwegs und irgendjemand hat auf einen von ihnen geschossen.«
»Und der ist jetzt im Pfarrhaus?«
»Alle sind dort. Eva Seger und Lea, die beiden Männer, der Pfarrer und alle aus dem Rat. Kiefer und Bubi habe ich auch gesehen.«
»Ist der Mann schwer verletzt?«
Sutter zuckte die Schultern. »Ich glaube schon. Aber das Wichtigste: Eva hat Medikamente gebracht, Medikamente aus dem Krankenhaus, einen ganzen Sack voll!«
»Medikamente.« Hoffnung.
»Genug jetzt!« Anna-Maria Guhl schob Frieder Faust, Christoph Eisele und Roland Basler einfach vor sich her aus dem kleinen Gästezimmer des Pfarrhauses.
Die Männer hatten Joachim Beck in ein weiches Federbett gelegt, viel zu schnell, als dass die Haushälterin des Pfarrers noch Gelegenheit gehabt hätte, eine schützende Decke unterzulegen. So musste sie mit zusehen, wie Becks Blut und der Schlamm, aus dem der Mann größtenteils zu bestehen schien, die schneeweiße Bettwäsche verdarben.
»Geht«, sagte sie schließlich. »Ihr habt getan, was ihr tun konntet, der Rest liegt in Gottes Hand.«
»Wenn Sie Hilfe brauchen …«, begann Faust.
»… dann wissen wir, wo wir euch finden«, vollendete Fräulein Guhl den Satz. »Danke.« Sie schloss die Holztür des Pfarrhauses.
Die drei Männer blieben vor dem Haus stehen. Der Regen hatte weiter nachgelassen.
»Drei Esser mehr.« Roland Basler hatte die Hände in seinen Manteltaschen vergraben und sah zum Fenster hinauf, hinter dem er Beck, Thomas sowie Eva und Lea Seger wusste.
Am Vormittag war er von mehreren Frauen und Männern angespro chen worden, alle hatten sie dasselbe Anliegen: Nahrungsmittel. Aber statt eines Lkws voller Nahrungsmittel tauchten drei weitere Es ser auf, drei Mäuler, die ihrer aller Probleme nur noch weiter zuspitzen würden. Und Gott ließ auch kein Manna regnen, Wunder gescha hen vielleicht an anderen Orten, zu anderen Zeiten, aber bestimmt nicht heute und hier in Wellendingen. Basler selbst hatte im Augenblick noch keine Schwierigkeiten, satt zu werden, aber ihm war klar, dass dieser Zustand nicht ewig anhalten konnte.
»Eva Seger ist zurück!« In Fausts Augen funkelte es. »Und du denkst nur an drei zusätzliche Esser?« Er schüttelte den Kopf. »Lea hat ihre Mutter wieder. Und Eva hat Medikamente mitgebracht. Und sie ist Krankenschwester, wie du eigentlich wissen solltest. Ist das alles nichts?« Frieder Faust kramte seinen Flachmann hervor und nahm ei nen tiefen Schluck. Und schüttelte sich.
»Schöne neue Welt«, ergänzte Eisele voller Sarkasmus. »Wir beerdigen einige Dutzend Leichen und Leichenteile, werden durch eine Schießerei dabei gestört und sehen in den Neuankömmlingen nicht das, was sie sind, nämlich Menschen aus unserer Mitte, sondern zuerst einmal Futterkonkurrenten!«
»Was sie ja auch sind«, sagte Basler.
»Natürlich sind sie das. Aber macht es dir denn keine Angst, wie schnell dir deine Mitmenschlichkeit abhanden kommt? Natürlich, al les hat sich verändert und die wirklichen Probleme stehen uns allem Anschein nach erst noch bevor. Aber wenn nun in zwei, drei Tagen alles wieder funktionieren sollte, kannst du uns dann noch mit ruhigem Gewissen in die Augen sehen?«
»Denke schon«, antwortete Basler. »Leider ist kein Jesus in unserer Mitte, der Brot und Wein hervorzaubern kann, auch kein Schlaraffenland in der Nähe. Wisst ihr, ob jemals alles wieder so sein wird, wie es bis Mittwochmorgen war? Ich könnte mir nicht mehr in die Augen schauen, wenn ich wüsste, dass nur, weil wir einige Fremde aufgenom men und verköstigt haben, Menschen aus unserem Dorf demnächst verhungern. Klar, schön, dass Eva wieder da ist. Jetzt brauchst du dich auch nicht länger um die Kleine zu kümmern, Frieder, aber die beiden Männer …« Er kratzte sich am Kopf. »Der eine Kerl ist halbtot und der Schweigsame mit der Tasche scheint mir nicht ganz richtig im Kopf. Die beiden sollten auf jeden Fall wieder verschwinden.«
»Darüber werden wir gemeinsam im Rat entscheiden«, sagte Faust. Die Art und Weise, wie Basler versuchte, im
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