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Rattentanz

Titel: Rattentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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und rette wenigstens dein Leben. Um das Geld kannst du dich später kümmern. Ohne ein weiteres Wort machte er kehrt und rannte davon. Kiefer nahm Bubi das Geld aus der Hand und ließ es durch seine Finger blättern.
    »Netter Tagesverdienst«, sagte er.
    »Hoffentlich kommt das nicht raus«, sagte Bubi. Wenn ein Dritter diesen Typen, der wie vom Teufel gejagt über die Wiese stolperte, in die Finger bekam, würde der bestimmt nicht hinter dem Berg halten und verschweigen, was Kiefer und er ihm gerade abgenommen hatten.
    »Stimmt. Könnte irgendwann nach hinten losgehen.« Kiefer entsicherte seine Waffe und warf vorsichtshalber noch einen Blick aufs Hardt. Dann legte er an.
    »Auf der Flucht erschossen«, lachte er und drückte ab.

66
    10:09 Uhr, Wellendingen
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    Petra Sutter schlief in Jessikas Bett neben ihrer kranken Tochter. Ihr Mann Lorenz und ihr Sohn Marvin waren zur Beerdigung gegan gen. Sie selbst hatte sich zu ihrer Kleinen gelegt, ausgelaugt von der durchwachten Nacht und einer maßlosen Angst um die Achtjährige. Ausgelaugt von ihrer Hilflosigkeit.
    Jessikas Körper glühte und unter ihren sonst so fröhlichen Augen lagen dunkle Schatten. Wer sie vor drei Tagen zuletzt gesehen hatte, wie sie mit ihrem Bruder hinter dem Haus gespielt und schließlich mit vor Anstrengung roten Wangen ans Wasserfass gelaufen war und das abgestandene Wasser aus ihren Händen getrunken hatte, würde sie jetzt nicht wiedererkennen. Ihre Wangen schimmerten grau und waren eingefallen und sie hechelte wie ein abgehetzter Hund – hastig und oberflächlich. Immer wieder beugte sie sich aus dem Bett, würgte grünen Schleim hervor und Tränen rannen dabei über ihr Gesicht. Danach fiel sie sofort wieder in diesen unheimlichen Schlaf. Dieser Schlaf machte Petra die meiste Angst. Hatte das Kind gestern noch im Schlaf fantasiert und war manchmal aus einem bösen Traum aufgeschreckt, so lag es seit den Morgenstunden nun völlig apathisch in seinem durchgeschwitzten Bett. Die Infektion tobte tief in Jessika, presste sie aus und fraß sie langsam auf.
    Aus getrocknetem Wermut hatten sie Tee gekocht. Den Wermut hatten sie am Vortag von Hildegund Teufel bekommen. Jessika behielt ihn bei sich und die Übelkeit schien sich zu bessern. Tatsächlich wurden die Abstände zwischen den Krampfanfällen langsam größer und Petra hoffte, dass dies am Wermut lag und nicht an der Erschöpfung ihrer Tochter. Die Eltern hatten sich gegenseitig Vorwürfe gemacht, weil sie ihr Kind nicht besser beschützt hatten, weil sie jetzt nicht in der Lage waren, ihr zu helfen. Aber sie hatten in einer Welt gelebt, in der sich Getränke in Flaschen oder Dosen befanden, in einer Welt, die immer und überall Ärzte und Medizin bereithielt. Die Sicherheit ihrer gewohnten Welt hatte sie nie auf eine Situation wie diese vorbereiten können. Jetzt waren sie plötzlich allein, allein mit Gefahren, die bis vor wenigen Tagen noch keine Gefahren gewesen wären, allein mit de ren Folgen.
    Lorenz Sutter riss die Kinderzimmertür auf und stürmte herein. Petra schrak zusammen und fuhr aus ihrem oberflächlichen Schlaf. Jessikas Atem stockte einen Moment, dann hechelte sie weiter.
    »Eva!«, rief Sutter und griff nach Petras Händen. »Eva Seger ist zu rück! Und sie hat Medikamente dabei! Einen ganzen Sack voll! Stell dir vor – Medikamente!« Er strahlte, ein glücklicher Vater, der wieder Hoffnung hatte.
    Petra brauchte einen Moment, um sich zurechtzufinden. Der Enthusiasmus ihres Mannes passte so gar nicht zu ihrer eigenen Verfassung und auch nicht zum Zustand ihrer Tochter. Und was erzählte er da von Medikamenten?
    »Lorenz, was ist denn los?«
    »Während der Beerdigung«, sagte Sutter und Tränen liefen ihm übers Gesicht, »der Pfarrer war gerade fertig, da stand plötzlich Eva Seger im Regen. Wir haben sie zuerst nicht erkannt, sie trug eine Müll tüte auf dem Kopf. Ich glaub, Lea war die Erste, die ihre Mutter erkannt hatte. Dann fielen Schüsse und ein Mann lief weg. Martin Kiefer und Bubi haben auch geschossen. Einer der Begleiter von Eva ist verwundet, Frieder hat ihn ins Pfarrhaus gebracht und …«
    »Langsam, Lorenz, ich versteh gar nichts.« Petra Sutter setzte sich auf die Bettkante.
    »Eva Seger. Du kennst sie doch.«
    »Flüchtig«, sagte Petra.
    »Sie ist doch Krankenschwester. Seit dem Flugzeugabsturz hat niemand mehr etwas von ihr gehört. Aber jetzt ist sie zurück aus Donau eschingen. Und sie hat Medikamente dabei! Ich habe gehört, wie sie dem

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