Rattentanz
drückte noch einmal ab. Wieder nichts.
Er warf die Pistole in den Dreck und sah sich um. Dreißig, vierzig Meter lagen noch zwischen ihm und den anderen und schnell wurde der Abstand geringer.
Fuchs ließ seine Tasche zurück und stürzte nach rechts auf ein kleines Waldstück zu. Das Geld hielt er fest in den Händen. Er klammerte sich an sein Geld und rannte, rannte um sein Leben. Adrenalin pulsier te durch seinen Körper und ließ ihn jeden Schmerz ignorieren. Thomas blickte ihm nach (He, du hast uns vergessen, Gevatter Tod!), machte aber keinerlei Anstalten, Fuchs zu verfolgen.
Eva stolperte zu Beck.
Für Eva waren die Schüsse, vor allem aber der Anblick des Mannes aus dem Krankenhaus, wie ein Schlag ins Gesicht. Eben noch die glück lichste Frau der Welt, rannte sie mit Lea wie gegen eine unsicht bare Mauer. Sie konnte Thomas sehen und Fuchs, der auf ein Waldstück zuhielt. Aber wo war der Polizist, wo?
Hinter Eva und Lea setzte sich die Menschenmenge langsam in Bewegung. Hildegund Teufel hatte ihren Stuhl verlassen, Basler tänzelte zwischen den Pfützen, um seine Kleidung zu schonen und selbst der Pfarrer näherte sich mit hochgehaltenem Ornat dem Geschehen. Alles bewegte sich, einzig Eckard Assauer blieb, wo er war. Ein vergessenes Etwas. Die Schüsse klangen wie splitterndes Metall, kleine Explosionen, die einen noch wachen Teil des Mannes an das zerreißende Flugzeug erinnerten. Etwas erinnerte sich, erinnerte sich, erinnerte sich …
Fuchs erreichte das Waldstück und verschwand im Unterholz. Dort blieb er kurz stehen, stützte sich auf die Knie und rang nach Luft. So eine Flucht war nichts mehr für einen alten Fuchs, dachte er. Aber er konnte bereits wieder lächeln. Er lächelte und betrachtete das viele Geld – schlammverschmiert und endlich sein. Er überlegte kurz, in welche Richtung er laufen sollte. Dann entschied er sich für die Richtung, in der das Dorf liegen musste. Wenn alle hier oben waren, so seine Überlegung, konnte er dort unten vielleicht ein Auto stehlen, oder wenigstens ein Fahrrad. Und dann – bye-bye, ihr Idioten, lebt wohl und fickt euch alle mal ins Knie!
Er zeigte ihnen den ausgestreckten Mittelfinger, dann tauchte er im Wald unter und rannte so schnell er konnte nach Wellendingen hinab.
Kiefer und Bubi brachen ins Haus von Jochen und Karola Schlesinger ein. Das Ehepaar hatte das Dorf vor zwei Tagen verlassen. Kiefer drückte ein Kellerfenster ein. Bubis Einwand, dass sie doch Wache halten sollten, tat er mit einer wegwerfenden Handbewegung ab.
»Selbst wenn irgendwo etwas passieren sollte«, war seine Antwort, »wir können schließlich nicht überall sein. Wir sagen, wir wären in dem Moment halt gerade am anderen Ende des Dorfes gewesen.« Klang einleuchtend.
Sie durchsuchten das Haus und deponierten das Wenige, was sie fan den, unten im Keller. Sie wollten es in einer der kommenden Näch te in ihr Versteck bringen. Während sie jede Ecke des Hauses durchwühlten, dachte Bubi an die Zukunft, die sein Freund ihm versprochen hatte. Dass er selbst – Bubi – bisher nicht auf die Idee gekommen war, dass scheinbar wertlose, bisher im Überfluss vorhande ne Dinge der Reichtum der neuen Zeit sein werden würden! Kiefer aber wusste Bescheid. Für Bubi stand fest, dass Martin Kiefer zu einem der wenigen Gewinner der Katastrophe wird. Heute war er bereits für die Sicherheit des Dorfes verantwortlich. Und morgen? Oder übermorgen? Es würde sich bestimmt lohnen, in seiner Nähe zu bleiben.
Der Schuss aus Becks Waffe stolperte mitten in Bubis Tagtraum und ließ diesen wie eine Seifenblase zerplatzen. Bubi und Kiefer rannten vor das Haus. Der zweite Schuss peitschte durch den Regen.
»Die Schüsse kamen vom Hardt!«
Das kann böse enden, raste es durch Kiefers Kopf. Wenn während der Trauerfeier etwas passiert, wenn einem aus dem Dorf etwas passiert, würde man ihn dafür verantwortlich machen, ganz egal, welche Ausrede er auch auftischt! Bestimmt würde sich schnell jemand aus ihren Reihen finden und mit dem Finger auf ihn und Bubi zeigen und fragen, wo sie waren, warum sie nicht verhinderten, was auch immer gerade geschehen war. Vielleicht war es aber auch nur ein Jäger?
»Komm, wir fahren aufs Hardt.«
Sie rannten zum Wagen. Der Motor sprang an und knatterte wie eine viel zu laute Kinderrassel.
»Wir sagen, wir haben den Weg nach Wittlekofen kontrolliert, verstanden? Dort ist noch keine Sperre errichtet, deswegen waren wir da.«
Bubi nickte und Kiefer gab Gas.
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