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Rattentanz

Titel: Rattentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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fliegen.
    Dass er Eva liebte, das wusste er. Aber dass ihm diese Trennung, und die Tatsache, nicht jederzeit mit ihr und seiner Tochter telefonieren zu können, so zusetzte, überraschte dann doch. Sie waren in all den Jahren noch nie länger als fünf Tage getrennt gewesen, die Tage, in denen er dienstlich nach Schweden musste. Aber selbst diese Tage waren, von der Entfernung abgesehen, keine wirkliche Trennung, telefonierten sie doch mindestens dreimal täglich. So war er immer bei ihnen, wusste, wie ihr Tag verlief, was Eva gemacht hatte und wie es in der Schule war. Sie alle brauchten diese Nähe, eine Nähe, die, einen Hauch weniger Liebe vorausgesetzt, Beziehungen zerstören konnte. Aber Phänomene wie Selbstverwirklichung, Ich-brauchemeinen-Freiraum oder Sprachlosigkeit waren ihnen bisher noch nicht begegnet. Im Gegenteil – sie waren zwei Einbeinige, die erst in der engen Umarmung das Laufen gelernt hatten. Und wie sie laufen konn ten!
    Hans ließ die Pfanne im Boden stecken und streckte sich. Er prüfte das bisher Geschaffte. Nicht schlecht. Seine Hände zitterten von der Anstrengung. Er betrachtete sie wie etwas Fremdes, das er in diesem Moment zum ersten Mal sah. Das Zittern seiner Hände erinnerte ihn an etwas längst Vergessenes. Zuletzt hatte Hans so gezittert, als er Evas ersten Mann aus seinem Haus geworfen hatte. Eine Ewigkeit ist seitdem vergangen.
    Eva konnte es ihm nie so erklären, dass Hans es hätte nachvollziehen können, jedenfalls hatte sie diesen Kiefer geheiratet. Um von ihren Eltern wegzukommen, sagte sie. Vielleicht macht man als Frau so etwas, mit achtzehn machen andere ganz andere Dinge. Aber geliebt hatte sie Martin Kiefer nie. Sonst wäre das mit ihnen nicht passiert. Hans’ eigene Hochzeit stand damals selbst kurz bevor. Oh, was für ein Aufschrei ging durch seine Familie und das ganze kleine Dorf, als er damals den Hochzeitstermin absagte und seine Braut aus dem Haus schickte. Hätte er sich in Luft auflösen können, er hätte es getan. Klei ne Dörfer können schrecklich sein. Jeder weiß alles und manche noch ein bisschen mehr. Jeder kennt jeden und Geheimnisse sind in einem Dorf wie Wellendingen so sicher aufgehoben wie ein gackerndes Huhn in einem Fuchsbau. Als Eva dann noch bei ihrem Mann ausund bei Hans einzog, war die Sensation perfekt. Monatelang gab es kein anderes Gesprächsthema.
    Aber die Wogen hatten sich geglättet und es kam, wie es immer kommt – Sensationen sind nur im taufrischen Zustand wirklich interessant und sensationell, nach und nach werden sie erst langweilig, später ein Stück Alltag. Sie wurden ein Teil Wellendingens.
    Einzig Martin Kiefer verkraftete den Verlust seiner Frau nur schwer. Wieder und wieder hat Hans ihn zufälligerweise immer gerade dort gesehen, wo auch Eva war: vor der Bank oder beim Friseur, beim Einkaufen, selbst in der Nähe ihres Hauses war ihm sein Wagen zweimal aufgefallen. Zu den seltsamsten Zeiten läutete über Wochen hinweg das Telefon, bis Hans das Problem mit einer Geheimnummer aus der Welt schaffte.
    Schließlich kam, was kommen musste. Martin Kiefer stand eines Abends vor ihrer Tür und wollte eine Aussprache mit seiner (Noch-)Ehefrau. Als Eva sah, wem Hans da gerade die Tür geöffnet hatte, war sie im Wohnzimmer verschwunden. Sie hatte abgeschlossen mit ihm, es gab nichts mehr, über das sich ihrer Ansicht nach mit Martin zu reden gelohnt hätte. Ein einziges Mal wollte sie ihn noch freiwillig sehen, dem Tag ihrer offiziellen Scheidung in zwei Wochen. Also blieb Hans nur, den Vorgänger zum Gehen zu bewegen. Als Martin sah, dass Eva ohne ein Wort verschwand, rastete er aus. Er versuchte an Hans vorbei zu ihr zu gelangen. Er rief nach ihr, flehte sie an, bettelte um einen Neuanfang. Die Trennung war wie ein Blitz aus heiterem Himmel über ihn gekommen. Er war sich – und, so vermutete Hans, ist sich wahrscheinlich noch immer – keiner Schuld bewusst. Alles war doch gut und so, wie er es haben wollte. Vielleicht nicht in jeder Beziehung, aber doch so, dass man in diesem Zustand bis ans Ende aller Tage verharren hätte können. Warum sie ihn für Hans verließ, was dieser andere ihr bieten konnte, das er selbst nicht besaß, lag außerhalb seiner Vorstellungskraft.
    Hans konnte ihn im letzten Augenblick noch am Arm packen und von der Wohnzimmertür zurückreißen. Er zerrte ihn an diesem Abend durch den Flur zur noch offen stehenden Haustür und stieß ihn aus dem Haus. Martin stolperte rückwärts die drei Stufen

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