Rattentanz
hinunter, verlor das Gleichgewicht und fiel auf den Rücken. Und Hans starrte auf ihn herab. Es musste der demütigendste Moment in Kiefers Leben gewesen sein.
Als Hans schließlich die Tür schloss, zitterten seine Hände. Er war randvoll mit Adrenalin. Hätte sein Körper auch nur noch einen Tropfen davon produziert, wäre es ihm aus den Ohren gequollen. Er hatte kurz die Augen geschlossen und tief durchgeatmet. Genau wie jetzt. Noch einmal tief Luft holen. Noch war erst die Hälfte der Fahrrinne geschafft.
Als er die Augen wieder öffnete und sich gerade nach dem Pfannenstiel bückte, standen plötzlich vier Menschen am Rand der Grube, zwei junge Frauen und zwei Männer, genau über ihm. Ohne ein Geräusch hatten sie sich herangeschlichen. Ihre Gesichter wirkten verschlossen. Im Gesicht beider Frauen blühten blaue Flecken wie Veilchen auf einer Frühlingswiese, die Farbe jedenfalls kam hin.
Endlich, war Hans’ erster Gedanke. Das war die ersehnte Hilfe! Den Rest des Grabens konnte er jetzt getrost vergessen, zu fünft würde es ein Kinderspiel, das Boot ins Meer zu ziehen.
Doch dann fielen Hans die Knüppel auf. Jeder der vier hielt einen starken, glänzenden Stock in der Hand, wie Baseballschläger. In den Händen der zierlichen Frauen wirkten sie seltsam fehl am Platz. Hans entdeckte an einem der Schläger dunkle Flecken. Getrocknetes Blut. Er wusste es sofort, schneller, als die Information an irgendwelche Schaltkreise seines Denkens übermittelt war. Vor einer Woche hätte er vermutlich zuerst an Dreck gedacht, Teer vielleicht oder Farbe. Heute dachte er als Erstes an Blut und wusste, dass es Blut war.
Die fünf musterten sich lange Sekunden, ohne dass sich einer bewegte. Schließlich brach Hans das Schweigen: »Hallo.« Es sollte freundlich klingen, seine staubtrockenen Stimmbänder brachten aber nur ein undeutliches Krächzen zustande. Gleichzeitig versuchte er, mit einem Satz aus der Grube zu springen.
Die beiden Männer reagierten prompt. Wie abgesprochen kamen beide einen Schritt nach vorn. Sie kamen bis an den Rand der nassen Falle und versperrten Hans den Weg. Hinter Hans lag das Boot. Hans Seger wurde nervös. Er sah sich um. Er begriff die Situation selbst nicht, wusste nur, dass er eine gute Zielscheibe abgab. Sollte einer der vier das Verlangen verspüren, mit seinem hochroten Kopf eine kleine Trainingseinheit Baseball einzulegen, war das Einzige, was ihm blieb, den Kopf ganz ruhig zu halten, damit alles schnell vorüberging. Ihm wurde klar, dass hier und jetzt vielleicht sein Ende bevorstand.
»Frag ihn, wie er heißt«, flüsterte Alicja. Ihr Herz hämmerte in der viel zu engen Brust. Es hatte geklappt, ja, es hatte geklappt! Dieser Mann da hatte sich so in seine Arbeit vertieft, dass er sie überhaupt nicht wahrgenommen hatte. Es war ein Kinderspiel, fast schon wieder zu einfach. Sie hatten Hans eine Weile beobachtet. Anfangs nährte er, so verzweifelt und ratlos wie er neben dem Boot saß, ihre Hoffnung, dass er irgendwann aufgeben und sich aus dem Staub machen würde. Dann war er aber plötzlich wie von einem Sandfloh gestochen in eine der Hütten gestürmt und zwei Minuten später zurückgekommen. Seit dem grub er wie ein Irrer. Es dauerte eine ganze Weile bis Karol endlich klar wurde, was der Mann eigentlich vorhatte.
»Der gräbt sich einen Kanal bis zum Boot!« Diese Erkenntnis zwang sie zum Eingreifen. Sie konnten nicht tatenlos mit ansehen, wie ein einzelner Mann das einzige Boot weit und breit zu Wasser ließ und mit ihm am Horizont verschwand.
»Wie heißen Sie?«, fragte Patryk auf Polnisch. Der Fremde starrte aber nur zurück. Er verstand kein Wort.
»Ist doch egal, wie der heißt.« Karol stand unter Hochspannung. Die gestrige Auseinandersetzung, eine lange Nacht im Wald und die Angst um sich und Alicja hatten ihm zugesetzt. Er wollte weg hier, schnell, sofort. Nach Hause.
»Pole ist er jedenfalls nicht«, sagte Patryk. Er zeigte mit seinem Knüppel auf Hans und fragte: »Schwede?«
»Von hier ist er bestimmt nicht«, antwortete stattdessen Zuzanna.
»Wenn er aus Schweden käme, könnte er bequem heimlaufen und müsste sich nicht mit dem Boot abquälen.«
Hans sagte etwas. Zuerst probierte er es mit Englisch, als er darauf aber keine Reaktion bekam, versuchte er sein Glück mit Deutsch.
»Deutsch. Das war eindeutig Deutsch.« Alicja lachte.
Als er die junge Frau lachen sah, fiel Hans Seger ein Stein von der Seele. Menschen, die so lachen, töten nicht. Heimlich
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