Rattentanz
hatte er das Messer aus seiner Hosentasche genommen und hinter seinem Rücken aufgeklappt. Jetzt lockerte sich sein Griff. Er versuchte ein Lächeln. Wahrscheinlich waren die vier Polen. Oder Russen. Irgendwas Slawisches be stimmt. So, wie sie sein Boot betrachten, wollten sie ebenfalls über die Ostsee.
Wieder mutiger, nahm er erneut Anlauf, aus dem Loch zu klettern. Plötzlich hörte er eine der Frauen etwas schreien, nur einen Sekundenbruchteil später sah er einen der Knüppel auf sich zusausen. Er schloss die Augen und riss die Arme vors Gesicht.
»Er hat ein Messer! Ein Messer!« Zuzanna schrie wie am Spieß und zeigte auf den Deutschen.
Karol reagierte prompt. Die Keule flog von seiner Schulter durch die Luft, der Mann riss noch die Arme hoch, dann wurde er am Handgelenk getroffen. Das Messer fiel auf den Strand, der Deutsche rücklings zurück in die Grube. Salzwasser schlug über ihm zusammen. Patryk griff nach Hans Segers Messer.
»Oh Mist, wenn wir das Messer übersehen hätten!«
»Er wollte uns umbringen!« Zuzanna schrie noch immer. Sie schwang ihren Knüppel hin und her und lief wie verrückt um die Gru be. »Wetten, er wollte uns töten?!« Aber sie meinte weniger Seger als die drei Männer von gestern. Sie spürte die Blicke der drei auf der Haut und den Griff des einen und wie er sie und Alicja mit den Köpfen aneinandergeschlagen hatte.
»Es ist gut, Zuzanna.« Patryk griff nach ihrem Knüppel und drückte ihn nach unten. Dann zeigte er ihr das Messer. »Damit kann er uns nichts mehr tun.«
Zuzanna starrte auf das Messer, dann zu Patryk. Schließlich ließ sie den Knüppel fallen, ging selbst in die Knie und begann zu weinen. Sie weinte all ihre Angst heraus, zitterte am ganzen Körper. Alicja ging zu ihr und nahm die Freundin in den Arm.
»Was sollen wir jetzt mit ihm machen?«, fragte Patryk. »Glaubst du auch, dass er uns angreifen wollte?«
»Frag mich bitte was Leichteres!« Karol taxierte den Mann in der Grube. Der kniete im Wasser und massierte sein schmerzendes Handgelenk. »Aber wir sollten kein Risiko eingehen. Seit der Strom weg ist, traue ich niemandem mehr. Es ist, als habe alles und jeder den Verstand verloren, uns eingeschlossen.«
»Kannst du noch irgendeine Waffe bei ihm entdecken?«
»Nein.«
»Vielleicht in dem Beutel da?« Patryk deutete auf Hans’ Stoffbeutel, der in Reichweite neben der Grube lag. Er zog ihn mit der Fußspitze zu sich heran, bückte sich und schüttete ihn aus.
»Ja, sieh mal einer an!« Karols Miene hellte sich etwas auf. »Der Gute schleppt einen halben Supermarkt mit sich herum.« Seit gestern Morgen hatten sie nichts mehr gegessen. Der Anblick des halben Brotes und der Konserven zog seinen Magen zusammen. Er schluckte, dann widmete er dem Fremden erneut seine ungeteilte Aufmerksamkeit.
Einer der Männer flüsterte den Frauen etwas zu. Alicja rannte daraufhin hinter die Hütten. Nach drei Minuten kam sie zurück, in der Hand einen roten Strick. Zurück bei ihren Freunden, bauten sich die beiden Männer breit am Rand der Grube auf, die Knüppel im Anschlag. Dann bedeuteten sie Hans, herauszuklettern. Hans konnte ihre Nervosität und Anspannung förmlich greifen. Ein feines Knistern lag in der Luft, angefacht vom Angstschweiß der fünf Menschen.
Hans kletterte heraus. Kaum draußen, spürte er Karols Knüppel im Nacken. Hart zwang der Hans in die Knie. Patryk tänzelte um die beiden herum. Sollte Hans auch nur die kleinste falsche Bewegung machen war er zum sofortigen Zuschlagen bereit.
Dann kamen Alicja und ihr roter Strick an die Reihe. Sie bog Hans die Arme auf den Rücken und fesselte ihn. Tief schnitt der Kunststoffstrick in seine Handgelenke, jedoch nicht tief genug, um ihre Angst zu besänftigen. Die Männer zerrten ihn auf die Füße und stießen ihn den Strand hinauf, immer schön neben den Holzrollen her, bis zu einer der Ferienhütten. Dort fesselten sie ihn an das Verandageländer.
Die Sonne hatte ihren höchsten Punkt am Himmel lange überschritten, als Hans Seger zusehen durfte, wie Alicja, Zuzanna, Patryk und Karol sein Boot in die Wellen schoben. Sie taten es mit einer widerwärtigen Selbstverständlichkeit. Als sei es schon immer ihr Boot gewesen, als hätten sie ihr Leben lang nichts anderes getan. Erstaunlich leicht ging es. Sie hoben das Boot etwas an, sodass es auf seinem schmalen Kiel stand, dann schoben sie mit vereinten Kräften. Es waren nur zwei Meter bis ins Wasser, zwei große Schritte. Manche Menschen waren
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