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Rattentanz

Titel: Rattentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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Licht im Flur an, aber diesmal wurde es im Wohnzimmer dunkel. Dann ein neues Licht, direkt unterm Dach, hinter einer Milchglasscheibe. Kiefer war in einen Apfelbaum geklettert, um einen Blick von ihr zu erhaschen. Wenig später hörte er, wie jemand die Toilettenspülung betätigte. Und dann öffnete sie das Fenster, um die laue Nacht einzulassen oder um sich ihm zu zeigen!
    Kiefer konnte bis heute das Glück nicht fassen, welches er an diesem Abend gehabt hatte: Eva stand vor einem Spiegel, zog T-Shirt und BH aus und begann, sich Brust, Schultern und Hals einzucremen. Er kannte die Prozedur genauestens und hatte sich mehr als einmal darüber lustig gemacht, als sie noch mit ihm verheiratet war. Aber nie, und das wurde ihm erst bewusst, als er die Bilder entwickelte und sie schließlich in den Händen hielt, nie hatte er diesen Moment als das erlebt, was er in Wirklichkeit war: Schönheit. Er wählte unter den sechsunddreißig Aufnahmen dieses Abends eine aus, auf der sie frontal zu ihm stand. Die linke Hand lag zwischen ihren Brüsten und sie sah nach rechts in den Spiegel und hielt ihr Haar mit der Rechten über ih ren Kopf. Er liebte dieses Bild, ihr Profil mit der scharf gezeichneten, vielleicht etwas zu großen Nase und die Linie ihres Nackens, wie sie in die weiße Schulter übergeht.
    Eva.
    Das zweite Kinderzimmer hatte er für Evas Rückkehr vorbereitet. Gründlich vorbereitet und ausprobiert! Ein einziges Mal, denn er wollte nichts dem Zufall überlassen und schon gar nicht, dass bei ihrer Rückkehr etwas schiefginge.
    Er wusste nicht mal, wie die Frau hieß, der er die Ehre zuteilwerden ließ, diesen besonderen Raum einzuweihen. Aber manchmal sah er sie noch in der Stadt, sogar in seiner Straße, und sie grüßten sich, wie Nachbarn sich eben grüßen. Denn sie wusste nicht, dass Martin Kiefer es war. Es gab keinen bestimmten Grund, warum er sie auserkor, Evas Zimmer auszuprobieren. Er hatte sie im eigentlichen Sinn des Wortes auch nicht ausgewählt, sie hatte einfach nur Pech gehabt. Sie hatte das Pech, dass sie die Erste war, auf die Kiefer traf, als er das Zimmer endlich fertig hatte und, begierig es auszuprobieren, losfuhr und nach einer Frau suchte. Es war bereits dunkel, als sie an ihm vorbeilief. Sie trug eine Sporttasche am Arm. Ehe sie überhaupt wusste, was geschah, hatte er ihr von hinten einen Leinenbeutel über den Kopf gestülpt, sie herumgedreht und ihren Hilfeschrei, für den sie gerade den Mund hatte öffnen wollen, mit einem gezielten Schlag unterdrückt. Dann hatte er sie gefesselt und ihr die Augen verbunden. Als sie erwachte, fuhr er zwei Stunden mit ihr im Wagen durch die Gegend, um sie zu verwirren.
    Mitternacht war bereits vorüber, als er sie damals in Evas Zimmer trug und auf den skurrilen Tisch legte, der in der Mitte des Raumes an Ketten von der Decke hing. Der Tisch hatte die Form eines Ypsilons. Der untere Teil war breiter und am Ende befand sich eine mittelalterlich anmutende Holzzwinge, die er aufklappte. Er legte den Kopf der Frau und ihre Hände in die vorgesehenen Mulden und schloss den Pranger. Sie lag auf dem Rücken, ihm ausgeliefert, geknebelt und mit vor Todesangst aufgerissenen Augen. So hatte er es sich schon tausendmal vorgestellt – nur, dass es in seiner Fantasie Evas Augen waren, die zu ihm aufsahen. Er trug eine Ledermaske. Während er sie auszog und schließlich auch noch ihre Füße, für die er ähnliche Vorrichtungen an den beiden freien Enden des Tisches angebracht hatte, einsperrte, sang er leise This is the end von den Doors. Dann hatte sich Kiefer auf den Stuhl gesetzt, an dem Handschellen an beiden Armlehnen und an den vorderen Stuhlbeinen hingen. Auf diesem Stuhl sollte einmal Seger sitzen und zusehen – hilflos und gefesselt!
    Kiefer behielt die Frau zwei Tage bei sich und weidete sich an der Angst in ihren Augen. Die meiste Zeit ging er wortlos im Zimmer auf und ab oder saß im Stuhl und betrachtete sie. Und es war so, wie er es sich vorgestellt hatte: mächtig, schön und erregend.
    Wie würde es erst mit Eva sein!
    Er tat ihr nichts, rührte sie nicht einmal an, onanierte nur zwei Mal auf sie und brachte sie, als er sich sattgesehen hatte, in ein zwanzig Kilometer entfernt liegendes Waldstück bei Neustadt.
    Wenn sie sich heute manchmal zufällig auf der Straße begegneten, grüßte er sie freundlich und dachte dabei an sie, so, wie nur er sie kannte.

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    17:20 Uhr, Neapel
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    Die Kanalisation Neapels war unbestritten der schönste Ort der

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