Rattentanz
Beifahrersitz und untersuchte das Radio. Alle Lämpchen leuch teten, auch die Lautsprecher funktionierten. Er stieg aus und kontrollierte die Antenne, aber auch hier schien alles in bester Ordnung. Das Teleskop war an seinem Platz und komplett ausgefahren. Alles so, wie es sein sollte. Bis auf den Empfang.
Er ließ den automatischen Sendersuchlauf zweimal alle Frequenzen durchlaufen. Nichts. Seltsam, dachte er und legte eine Kassette ein. Er zuckte mit den Schultern. Was soll’s, das Leben ist schön, auch ohne Radio.
Nach zehn Minuten hatte er fast die Landstraße erreicht. Noch ein oder zwei Kurven, dann würde es schneller vorangehen. Er kam aus dem Wald. Was er dort sah, erklärte mit einem Schlag alles!
Er riss das Lenkrad herum und trat auf die Bremse. Er stieg aus. Er konnte nicht fassen, was er sah und doch geschah es, hier vor seinen Augen!
Ein Mann mit Krallen an den schweren Arbeitsschuhen, die an eine Bergsteigerausrüstung erinnerten, saß auf einem der hölzernen Strommasten, die zu seinem Haus führten. In aller Seelenruhe, als sei dies die normalste Tätigkeit, riss er die Kabel, die Malows Haus mit Strom und einer funktionierenden Telefonverbindung versorgen sollten, aus ihrer Halterung und warf sie zu zwei Männern hinunter, die schon warteten und die Arme gehoben hatten. So weit Henning Ma low sehen konnte, waren da nur noch kabellose Masten, die wie brave Schülerfinger (Ich weiß es! Ich weiß es!) in den blauen Himmel zeigten. Das war also der Grund für den Strom-und Telefonausfall! Die Kerle hier hatten ihm einfach die Leitungen gekappt und wickelten sie jetzt ganz gemütlich zu in regelmäßigen Abständen herumliegenden Rollen zusammen. Wer auch immer die drei da waren – von einer zuständigen Firma schienen sie nicht zu kommen. Sie trugen zwar Arbeitskleidung, aber ganz bestimmt keinen Overall mit Firmenlogo. Auch stand weit und breit kein Firmenwagen, nur drei Fahrräder ein Stück weiter zur autoleeren Landstraße hin.
»He, macht euch da weg«, schrie Malow. »Was fällt euch ein? Wir sitzen seit Tagen im Dunkeln und, und …« Malow suchte mit hochrotem Kopf nach Worten, Worte, die doch keiner verstand. Er müsste schon gehörig Glück haben, wenn einer der drei dort vor ihm Deutsch könnte.
Wie zu erwarten erntete er nur verständnislose Blicke.
»Glotzt nicht so!« Er kochte. Zu viele Tage hatte er in einer lichtund, was noch schlimmer war, in einer fernsehlosen Welt allein mit Lena zubringen müssen. Hinter ihm lagen Tage, endlose Tage, an de nen er die einzige Unterhaltung seiner Frau darstellte, ein Programm, das ihr offensichtlich viel Freude bereitete. Ihm nicht. Und die Kerle da waren an allem schuld!
Er stürmte auf sie zu. Ihr Schweigen, vor allem aber, dass sie nach einer kurzen Unterbrechung jetzt in aller Ruhe mit ihrem Treiben fortfuhren, machte ihn rasend. Er baute sich neben den beiden Männern auf, die aber ignorierten ihn und widmeten sich ganz dem Zusammenrollen des herabhängenden Kabels.
Was war hier los? Wieso griff der Strombetreiber nicht ein? Wo war die Polizei?
»Habt ihr mich nicht verstanden?« Einer der Männer machte eine Handbewegung, die soviel heißen sollte wie: Verschwinde. Geh und lass uns in Ruhe.
Das war zu viel für Henning Malow. Nicht nur, dass sie an einer der schlimmsten Wochen seines Lebens die Schuld trugen. Nein, sie hatten unbehelligt seine Verbindung zur Welt unterbrochen und jetzt behandelten sie ihn auch noch wie ein lästiges Insekt, das man mit ei ner Handbewegung verjagte.
Ohne sich auch nur einen Moment mit der Relevanz seines Tuns auseinanderzusetzen (Was interessierte ihn jetzt noch, ob dort hinten Licht brannte oder nicht? Er war frei und unterwegs in sein eigenes Leben!), packte er den Nächststehenden an der Schulter und zog ihn herum. Es ging ums Prinzip. Was sollte aus einer Welt werden, in der jeder dem anderen einfach so ungestraft die Leitungen kappen konn te? Das ging nicht. Das durfte nicht sein!
Der Mann sagte etwas zu seinen Freunden, die daraufhin lachten. Dann erhob sich der Mann und drehte sich zu Henning Malow um. Er lächelte Malow freundlich an. Irritiert betrachtete der sein Gegenüber. Der Mann redete, gestikulierte, klang freundlich. In der Zwischenzeit nahmen seine Freunde die Arbeit wieder auf. Schließlich nahm der Mann Malow bei den Schultern, drehte ihn sanft um und schob ihn zu seinem Auto.
Malow hörte es vom Mast herunterlachen.
»Nichts da!« Er riss sich los. »So einfach werdet ihr
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