Rattentanz
den Topf quer durch das Zimmer. Eine Handbreit neben Eva traf er sein Hochzeitsbild und der Blumentopf zerschmetterte an der Wand.
»Weg!« Der böse Schatten, der eben noch im Türrahmen stand und ihm den Weg versperrt hatte, war verschwunden. Aber dafür gebaren die gelben Monster sekündlich neuen Nachwuchs. Aus allen Ecken, unter dem Sofa, aus geschlossenen Schranktüren quollen ständig neue Wesen hervor und kamen auf ihn zu. Er saß in der Falle! Er krabbelte in den Flur, aber auch hier war es nicht besser. Schatten warteten auf ihn, sie flüsterten und tuschelten in fremden Sprachen, griffen nach ihm, woll ten an seinen Hals, wollten ihn würgen, in ihn hineinklettern und seinen Körper von innen verbrennen. Ein paar von ihnen mussten es schon geschafft haben, waren wohl während er geschlafen hatte in ihn eingedrungen. Alles schmerzte und er hatte den Geschmack der Wesen im Mund – ein widerlich saurer Hauch des Bösen. Sie tobten in ihm. Faust erbrach sich zum dritten Mal. Dann stolperte er zur Haustür, riss diese auf und verschwand in der Nacht.
84
01. Juni, 11:43 Uhr, bei Wellendingen
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Hermann Fuchs lag um die Mittagszeit dieses ersten Junitages am Waldrand. Er starrte ins Leere und lächelte. Die Welt drehte sich weiter. Sein Grinsen wurde breiter. Die Welt drehte sich einfach weiter und sie schien es offensichtlich recht gut mit ihm zu meinen. Er streichelte seine rechte Wange. Die Wunde wollte und wollte einfach nicht heilen. Er beobachtete einen Marienkäfer, der vor ihm an einem Grashalm emporkletterte, und lächelte dabei. Er dachte an den Bullen und wie er es ihm gezeigt hatte. Schade nur um das viele schöne Geld.
Nachdem Kiefer und Bubi die kurze Freude an seiner Beute auf so ab rupte Art und Weise beendet hatten, war er Hals über Kopf in den Wald geflohen. Hoffentlich brachte ihnen das Geld Unglück.
Die Verletzung, die ihm Beck zugefügt hatte, war zum Glück nicht tief – ein oberflächlicher Streifschuss nur. Aber in den vergangenen Tagen war Schmutz in die Wunde eingedrungen. Fuchs schlief seither im Wald und ernährte sich von Beeren und Rinde. Gestern hatte er eine Maus gefangen, ein erstes (ekelhaftes) Stück Fleisch seit Tagen. Fleisch? Eigentlich bestand das Tier nur aus Knöchelchen mit etwas struppigem Fell darum.
Die Wunde nässte und kaum hatte sich eine dünne Kruste gebildet, kratzte Fuchs diese wieder ab. Und so nässte sie wieder und ein dünnes, gelbliches Sekret lief ihm über die Wange. Seit dem Zusammentreffen auf dem Hardt und seiner anschließenden Flucht versteckte er sich im Wald zwischen Wellendingen und Bonndorf. Schließlich war seine Beute noch hier irgendwo und wartete auf ihren rechtmäßigen Besitzer. Nach Donaueschingen zog ihn nichts mehr zurück. An das stete Hungergefühl hatte er sich ein wenig gewöhnt. Schlaf war die beste Medizin. Er schlief tagsüber und kroch am Abend erst aus seinen wechselnden Verstecken, streckte sich und schlich ins Dorf und in die schon nicht mehr so gepflegten kleinen Gärten. Diese Jahreszeit war eine denkbar schlechte Zeit für einen hungrigen Fuchs wie ihn. Ein paar Erdbeeren waren schon reif, alles andere würde noch Wochen oder Monate in der Sonne hängen müssen, bevor er es sich endlich holen konnte. Wenn es ihn dann noch gab. Doch nach der vergangenen Nacht war er wieder optimistischer; bestimmt würde es ihn dann noch geben.
Hermann Fuchs hatte Zeit und sein seit Jahren nur unregelmäßig und spartanisch ernährter Körper war zäh. Er wusste, dass er auch Mo nate so leben konnte. Das Einzige, was er wirklich vermisste, war eine Zigarette, aber auch die würde es irgendwann mal wieder geben.
Er richtete es so ein, dass er einen Schlafplatz mit Blick auf dieses verfluchte Dorf fand. Drüben, auf dem Höhenzug, wo man ihm sein Geld abgenommen hatte, ragte ein ausgebrannter, flügelloser Flugzeugrumpf in den schönen Junihimmel. Jeden Tag kam ein einzelner Mann herauf und legte einen kleinen Strauß Blumen auf den frischen Erdhügel. Wahrscheinlich, hatte Hermann Fuchs sich in den letzten Ta gen zusammengereimt, hatten sie dort die Toten aus der Maschine verbuddelt und der Alte musste sich um das frische Grab kümmern. Einmal wurde er von einem kleinen Mädchen begleitet. Das Mädchen hatte er aber auch schon an anderer Stelle gesehen. Jeden Morgen, wenn er sich hinlegte und mit Reisig und Laub zudeckte, kam die Kleine hinter einer Handvoll braunweißer Kühe hergetrottet und trieb diese auf eine der vielen
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