Rattentanz
doch so großes Interesse gehabt. Sie hatten ihn, fast gegen seinen Willen und zur Überraschung aller, mit den meisten Stimmen in den Rat gewählt, denn er hatte nach den Flugzeugabstürzen als einer der weni gen einen klaren Kopf behalten und instinktiv gewusst, was zu tun war. Er hatte die erste Versammlung einberufen.
Undank ist der Welten Lohn, dachte Susanne.
Sie wollte auf Eva warten, vielleicht wusste die Rat. Eva wollte nur Lea ins Bett bringen und dann noch einmal vorbeischauen. Susanne wusste, dass sie ihren Mann jetzt nicht alleinlassen durfte. Wenn doch jemand hier wäre, den sie nach nebenan schicken könnte!
Nur einmal war Frieder kurz erwacht. Er hatte sie gesehen und etwas gemurmelt, was sich nach »wegnehmen« und »böse« angehört hatte. Aber sie musste sich getäuscht haben, hier gab es nichts wegzunehmen und niemand war böse. Jedenfalls keiner von ihnen. Faust hatte offensichtlich Schmerzen. Warum sonst sollte er stöhnen wie er stöhnte und sich zusammenrollen wie ein Embryo im Mutterleib? Susanne kannte sich mit Kratzern und Schürfwunden aus, vielleicht auch mit einem tiefen Schnitt, aber dies hier überstieg die Künste einer Mut ter. Frieder war krank, aber was fehlte ihm? Was stimmte nicht mit Frieder?
Am Vormittag waren sie, Eva und ihre kleine Lea unten am Bach ge wesen. Die Frauen hatten Wäsche gewaschen und Lea hatte ihnen da bei geholfen. Auf dem Rückweg waren sie auf Frieder gestoßen, der aus Roland Baslers Haus rannte und die Haustür hinter sich zuwarf.
»Wahrscheinlich Querelen im Rat«, vermutete Eva. Vielleicht hatte sie damit recht, bestimmt sogar. Aus welchem Grund sollte Frieder auch sonst zu Basler gehen?
Vor Susanne lagen auf dem schweren gedrechselten Holztisch mit der Platte aus braunen Kacheln die frisch abgestaubten Fernbedienungen: Fernseher, Videorekorder, DVD-Player und Stereoanlage. Ein Stück weiter links das Telefon. Susanne hatte in den vergangenen zwei Stunden ein gutes Dutzend Mal nebenan bei Eva angerufen, natürlich ohne Erfolg. Es gab nicht einmal mehr ein Freizeichen. Sie versuchte, sich an den Klang des Freizeichens zu erinnern. War es nun Tuuut-tuuut oder Tuuut-tut-tut-tuuut oder Tut-tut-tut? Sie konnte sich nicht mehr erinnern. Obwohl – Letzteres könnte das Besetztzeichen gewesen sein. Aber welche Rolle spielte das. Im Schoß – sie trug einen Rock, der, spreizte sie die Beine ein ganz klein wenig, sich über den Schenkeln zu einer Hängematte aufspannte – hatte sie die kleine Taschenlampe liegen, die Frieder für das Wohnzimmer eingeteilt hatte. Frieder hatte an alles gedacht. Wie immer. Die größte und lichtstärkste Lampe stand im Flur, gleich neben der Haustür, eine ähnliche in der Küche. Außerdem hatte er Susanne aufgetragen, die kleine Solarlampe, die zur Dekoration im Garten steckte, jeden Abend zu holen und in den Blumentopf im Flur zu stecken. Am Morgen musste sie die Lampe zurück in den Garten bringen und am Abend erneut holen. Dann verströmte die Lampe einige Stunden kaltes Licht im Flur, ein Licht, welches minütlich schwächer wurde und schließlich ganz verschwand. Die kleine Taschenlampe in Susannes Schoß hatte Frieder ins Wohnzimmer gelegt, weil dies jetzt am seltensten benutzt wurde. Seit dem Stromausfall eigentlich gar nicht mehr, erinnerte sich Susanne. Sie hatte die Lampe auf dem Tisch die ganzen letzten Tage gestört, sie gehörte nicht hierher und brachte das gesamte Arrangement dieses Zimmers durcheinander. Kam Susanne herein, fiel ihr als Erstes diese Lampe ins Auge, alles andere trat in den Hintergrund und wurde unscharf, wie bei Bubis Kamera, sobald er das Teleobjektiv einsetzte. Er hatte es ihr einmal gezeigt.
Die Taschenlampe wegzuräumen, vielleicht in eine der unteren Schubladen der Schrankwand, zu Motorradzeitschriften und dem Lametta vom vergangenen Jahr, traute sie sich nicht. Frieder würde es sofort bemerken.
Eva Seger kam kurz nach elf zurück zu Susanne.
Seit Eva wieder im Dorf war, hatte sie alle Hände voll zu tun, für die Trauer um Joachim Beck blieb kaum Zeit. Sie musste nicht nur ihr Haus in Ordnung halten und sich um Lea kümmern. Jeden Abend ging sie in Albickers Stall zum Melken. Lea war sowieso die meiste Zeit hier oder mit Thomas unterwegs beim Kühehüten und auch Eckard Assauer hatte im Stall eine Aufgabe gefunden.
Zum Glück verlief die Schwangerschaft problemlos. Ihr war kaum noch übel und auch ihr Kreislauf hatte sich stabilisiert. Die Milch aus Albickers Stall taten ihr
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