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Rattentanz

Titel: Rattentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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dieser Tod gerechtfertigt. Wir wollen überleben, also tritt der Einzelne ganz automatisch in den Hintergrund, muss zurücktreten und Einzelinteressen müssen warten. Ich weiß, es ist ein schwieriger Lernprozess, vor allem für die Generationen, die Hunger und Krieg nur aus dem Fernsehen kennen. Aber darauf dürfen wir keine Rücksicht nehmen. Mit zunehmender Existenzsorge wächst die Anzahl der Einzelpersonen, aus denen ein Individuum besteht. Haben wir keine Angst, besteht ein Individuum aus einer Person, bei großer Angst, einer Angst, die alle betrifft, muss ein Individuum aus einer Familie, einem ganzen Dorf oder gar Staat bestehen, um zu überleben.«
    »Und wie wollen Sie diese These in unsere sturen Schwarzwaldschädel bekommen?«
    »Die, die gewillt sind, vorerst auf ihre Einzelinteressen zu verzichten, müssen sich zusammentun. Wir dürfen niemanden dazu überreden oder gar zwingen − aber wir haben auch nicht mehr die Möglich keit, Schmarotzer, welcher Couleur auch immer, durchzuziehen. Vielleicht sind wir am Anfang nur eine Handvoll, aber der Pfarrer, Bardo Schwab oder Albickers werden sich bestimmt anschließen.«
    »Und was wird aus denen, die einen anderen Weg wählen?«, fragte Eisele.
    Assauer, dessen Gesicht glühte, zuckte mit den Schultern. »Die werden früher oder später zugrunde gehen. Wahrscheinlich früher«, beantwortete er Eiseles Frage. »Mit Sicherheit früher.«
    Eisele blieb keine Zeit, um auf Eckard Assauers pessimistische Vision zu reagieren. Ein Geräusch und ein Bewegung hinter ihnen, die sie ge rade noch aus den Augenwinkeln wahrnahmen, ließen sie herumfahren. Das Licht einer Stabtaschenlampe flammte auf und blendete sie.
    »Ach, ihr seid es.« Die Erleichterung in Bubis Stimme war mehr als deutlich. Er und Kiefer sicherten ihre Gewehre, welche sie schussbereit im Anschlag hatten, und gingen zu dem vermeintlichen Gesindel. »Keine besonders gute Idee, nachts und ohne Licht flüsternd an Hausecken herumzulungern«, sagte Kiefer.
    »Wir haben uns nach der Ratssitzung verquatscht«, erklärte Eisele.
    »Übrigens, wäre heute alles nach Basler gegangen, hättest du deinen Vater vertreten dürfen.«
    »Ich? Wo?«
    »Im Rat. Basler − oder besser Rike, die er vorgeschickt hat − wollte dich haben.« Bubi kratzte sich am Kopf. Eisele und Assauer erzählten ihm vom Verlauf der Versammlung am Vormittag und der Ratssitzung am Abend.
    »Es wird Zeit, Bubi, dass dein Vater wieder auf die Beine kommt«, sagte Eisele. »Sonst zerbröselt hier alles wie ein ausgetrocknetes Stück Kuchen.«
    Bubi und Kiefer verabschiedeten sich. Auf sie warteten ihre nächtlichen Kontrollgänge. Und morgen ein Treffen mit Fuchs.
    »Wir sollten wenigstens mit Basler sprechen, bevor wir mit der Neu organisation der Feldarbeiten und Holzsammlung anfangen. Außerdem habe ich da so eine Idee wegen unseres Windrades, aber dazu will ich lieber erst mit ihm reden. Immerhin ist er so was wie unser Bürgermeister. Wir informieren ihn und bitten ihn mitzumachen. Sollte er sich weigern, kann er später wenigstens nicht behaupten, von nichts gewusst zu haben.«
    »Jetzt?«, fragte Assauer.
    »Warum warten? Er ist zu Hause und im Fernsehen kommt heute eh nichts Wichtiges, bei dem wir ihn stören könnten.«
    Sie verließen Hildegund Teufels Haus, nur ihr Husten folgte ihnen noch eine Zeit lang.
    »Wie ich Roland Basler einschätze, werden ihm unsere Vorschläge gar nicht gefallen. Und was Sie zum Thema Individuum gesagt haben, erst recht nicht.«

92
    11. Juni, 19:48 Uhr, Bonndorf
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    Martin Kiefer fuhr aus einem unruhigen, schwarze Augenringe zeichnenden Schlaf. Das Bettlaken roch nach Schweiß und sein TShirt, Champion stand in knallroten Lettern auf der Brust, klebte wie eine zweite Haut an ihm.
    Er brauchte einige Sekunden, dann wusste er wieder, wo er sich befand. Er lag in seinem eigenen Bett in Bonndorf. Im selben Augenblick des Erkennens erinnerte er sich auch an seinen Traum, einen Albtraum, an das Schrecklichste, was ihm widerfah ren konnte. Er warf die Bettdecke zur Seite, rannte die Treppe hinauf und rüttelte an den beiden verschlossenen Türen. Hier lag sein und Evas Geheimnis. Die Schlüssel steckten in seiner Hosentasche und die Hose lag irgendwo neben seinem Bett. Kiefer lief zurück, die Angst schnürte ihm den Hals zu. Er fand die Hose, den Schlüssel und seine Taschenlampe und rannte wieder nach oben, nahm zwei Stufen auf einmal. Seine Hände zitterten, als sie das Schlüsselloch suchten. Beim

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