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Rattentanz

Titel: Rattentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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dritten Anlauf endlich schaffte er es. Es war nur ein Traum, versuchte er sich zu beruhigen, nur ein böser Traum.
    Er stieß die Tür auf und leuchtete nacheinander in beide Zimmer. Alle Bilder in beiden Räumen hingen an ihren Plätzen, das Schöns te in einem goldenen Rahmen, und in der Mitte wartete der Tisch. Der Tisch.
    Kiefer ging in die Knie. Es war nur ein Traum, nur ein dummer, böser Traum. Im Schlaf war Kiefer ein Dieb erschienen. Nicht irgendein dahergelaufener Verbrecher, nein, viel schlimmer. Hans Seger war gekommen, der Mann, der ihm Eva gestohlen hatte.
    Seger hatte plötzlich vor ihm gestanden, als er die Tür zu seinem Geheimnis öffnete und, wie jeden Tag, Eva betrachten wollte, denn in sei nen Träumen war Eva längst wieder bei ihm. Seger hatte auf dem Tisch gesessen, der für seine Frau bestimmt war, sich umgesehen und dabei mit den Beinen geschaukelt, ganz entspannt. Von Eva keine Spur. Nette Aufnahmen, hatte er im Traum gesagt. Mach mir doch ein paar davon nach. Dann war er vom Tisch gesprungen, durch den kleinen dunklen Raum geschlendert und hatte nacheinander auf ein gutes Dutzend Bilder gezeigt, von denen er sich Abzüge wünschte. Kiefer spürte auch jetzt noch die Wut und den Zorn, der in ihm brodelte, wäh rend er dem verhasstesten Menschen seiner Welt bei dessen Rund gang durch das Allerheiligste zusehen musste. Seger zeigte auf eine der ersten Aufnahmen, die Kiefer von Eva gemacht hatte. Damals hatte es diesen Balg noch nicht gegeben und ihre Brüste standen noch spitz vom Körper ab. Das muss kurz, nachdem ich sie dir ausgespannt habe, gewesen sein, sagte Seger. Bist schon ein dummer Hund, dass du sie dir einfach so hast wegnehmen lassen. Dann lachte er. Wie im Traum stand Kiefer noch immer an der Tür und verfolgte den ungebetenen Besucher auf seinem Rundgang durch die Jahre der Einsamkeit und des Verlustes. Die schweren Vorhänge waren wie im mer zugezogen, aber dennoch waren Seger und jede Einzelheit im Raum deutlich zu erkennen, deutlicher, als es Tageslicht, die vielen kleinen Lampen an der Decke oder seine Taschenlampe jemals vermocht hätten. Obwohl der Raum immer abgeschlossen war, befand sich Seger hier. Ein Traum nur, in dem alles möglich ist. Und das hier − Seger war an den Tisch herangetreten, betrachtete dessen einprägsame Form und berührte scheinbar nebenher die Handund Fußfesseln −, was hast du damit vor? Bereitest du dich auf ihre Rückkehr vor?
    Kiefers Herz hämmerte, Schweiß brach ihm aus allen Poren. Woher wusste Seger Bescheid? Wer hatte es ihm verraten? Nur er selbst, Kiefer, wusste von diesem Platz, von diesem Tisch. Manche Dinge weiß man einfach, Martin, beantwortete Seger die unausgesprochene Frage. Wissen ist Macht und ich weiß eine ganze Menge über dich, deine schmutzigen Fantasien und ich kenne ganz genau deinen Plan für die Zukunft!
    Das saß. Kiefer ging in die Knie und faltete die Hände. Er streckte sie seinem Feind entgegen und flehte ihn an, keinem Menschen etwas zu verraten, aber Seger lächelte nur, lächelte wie einer, der alles wusste. Keine Angst, mein kleiner Verlierer, ich werde schweigen. Aber ich bin unterwegs zu dir und wenn es das nächste Mal an der Haustür klingelt, solltest du nicht den Postboten erwarten, sondern mich. Und dann probieren wir zwei mal dein Spielzeug aus, ja? Martin Kiefer zog die Tür ins Schloss, verriegelte sie und stieg die Treppe hinunter. Er fühlte sich müde, erschöpft. Der Traum war zerplatzt, noch ehe er Seger hatte antworten können. Er schämte sich, im Traum vor diesem Bastard auf den Knien und mit gefalteten Händen durch sein Heiligstes gerutscht zu sein. Was hatte Seger in seinen Träu men zu suchen? Was?!
    Hieß es nicht, dass es in Extremsituationen zwischen Menschen, die sich nahestanden oder auf irgendeine Art miteinander verbunden waren, zu telepathischen Kontakten kam? Er und Seger waren durch Eva miteinander verbunden. Vielleicht, und dies war die Eingebung, die Kiefers Laune mit einem Schlag besserte, vielleicht starb Seger in diesem Moment. Verhungert oder im Meer ersoffen, vielleicht auch von ein paar Männern zu Tode geprügelt. Ja, das musste es sein, dies war der Grund für diesen Traum: Seger hatte ein Problem und Martin Kiefer hoffte von ganzem Herzen, dass es ein großes Problem war, ein unlösbares Problem. Segers abschließendes Problem. Er zog sich gut gelaunt die schmutzigen Kleider vom Vortag an, strich sich mit der Hand durch das struppige Haar und, als er vor dem

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