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Rattentanz

Titel: Rattentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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Problem ist …« Sie hatte sich erhoben, wollte offensichtlich noch etwas sagen, aber plötzlich brach sie in Tränen aus, zwängte sich an den anderen vorbei zur Tür und rannte aus dem Haus.
    »Bea!« Eisele wollte ihr hinterher, aber Hildegund Teufel hielt ihn zurück.
    »Lass sie«, sagte Hildegund Teufel. »Es ist wegen ihrer Jungs.« Bea Baumgärtner hatte seit der Katastrophe nichts mehr von den beiden Älteren gehört und heute, am 10. Juni, hatte der Mittlere Geburtstag. Eisele setzte sich wieder hin und wartete wie die anderen darauf, dass einer etwas zu sagen hatte. Aber Hildegund Teufels Hüsteln, das sie vergeblich zu unterdrücken versuchte, blieb das einzige Geräusch in der Runde.
    Schließlich erhob sich Roland Basler. »Bevor wir uns hier anschwei gen, gehe ich lieber zu Rike nach Hause. Danke für den Tee.« Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss und sie waren nur noch zu dritt.
    »Und schon ist die schlechte Aura entschwunden.« Hildegund Teufel nahm mit einem schelmischen Lächeln Baslers Tasse und brachte sie in die Küche. Zurück kam sie mit einem Teller voller Kekse. »Die hatte ich ganz vergessen«, erklärte sie. Tatsächlich hatte sie die Kekse, die letztes Weihnachten als Geschenk gedacht waren, wie gewohnt in ihrem Kleiderschrank versteckt und nicht mehr an sie gedacht.
    »Nehmen Sie doch!«
    Eisele kaute bereits, seine Augen leuchteten. Nun hielt die Hausherrin Assauer den Teller unter die Nase. Der zögerte, streckte schließlich aber doch die Hand aus.
    »Ich selbst möchte keine«, lehnte er ab. »Mein Magen. Ich bekom me davon immer Sodbrennen. Aber kann ich Lea ein paar mitnehmen?«
    »So viele Sie wollen! Wenn Ihnen der da«, sie lächelte Eisele zu, »noch etwas übrig lässt.«
    Eisele wischte sich die Krümel von den Lippen und schob den Teller zurück in die Tischmitte. Konnten Kekse vom letzten Jahr so wundervoll duften? »Nehmen Sie keinen?«
    »Einen vielleicht«, antwortete die Alte. »Wenn es euch nicht stört, dass ich ihn in meinen Tee tunke. Wissen Sie, seit ein paar Tagen ist meine Haftcreme alle.« Sie lutschte an dem Keks und lächelte in sich hinein. »Das sind also die Problemchen der Zukunft: Haftcreme und dieser vermaledeite Husten.« Ein Hustenanfall beförderte die Hälfte ihres Kekses zurück auf den Tisch. Sie fegte die Reste auf den Boden, die Katze streckte sich, stieg von ihrem Ausguck und näherte sich betont desinteressiert der unverhofften Mahlzeit.
    »Was sollen wir jetzt tun? Zu dritt?«, fragte Assauer. Die Kekse hatte er in seiner Jacke verstaut. Er freute sich schon auf Leas Freudenschrei am nächsten Morgen, wenn sie das Gebäck in ihren Pantoffeln finden würde. »Ohne die anderen können wir nichts entscheiden.«
    »Ihr leistet einfach einer alten Frau ein wenig Gesellschaft. Erzählt mir, was es Neues gibt. Was macht Eva? Ich habe sie seit Tagen nicht mehr gesehen. Vielleicht sollte ich einmal zu ihr, wegen meinem Husten, versteht ihr?«
    Christoph Eisele berichtete Hildegund Teufel von Eva und dass die Medikamente, die sie aus Donaueschingen in Sicherheit bringen konn te, inzwischen einigen hier das Leben gerettet hatten. Vorerst jedenfalls. Aber der Vorrat, der bei ihrer Ankunft noch so unerschöpflich erschienen war, schmolz täglich zusammen und es war nur noch eine Frage weniger Tage, bis sie wieder mit leeren Händen dastanden. Basler hatte sie einmal gebeten, doch die Medikamente bevorzugt für die wichtigen Personen im Dorf zu reservieren. Auf ihre Frage hin zählte er diese auf: die Ratsmitglieder natürlich und auch Lydia Albicker, die sich um ihre Herde kümmern musste. Der Pfarrer, er war für das Seelenheil zuständig. Dann musste er kurz überlegen, bevor er noch drei oder vier andere Namen nannte, Namen von Menschen, die seiner Meinung nach wichtig waren. Nur ließ er offen, ob wichtig für ihn persönlich oder für die Allgemeinheit. Zum Schluss noch beeilte er sich zu sagen, sie selbst, Eva Seger, gehöre natürlich ebenfalls dazu.
    Eva hatte ihn einfach stehen lassen und sich um einen unwichtigen alten Mann gekümmert, dessen Wunde am Schienbein die Luft in ihrer kleinen Praxis im Pfarrhaus verpestete. Beim Holzhacken hatte er daneben geschlagen. Und anschließend vier Tage gewartet und der Wunde Zeit gegeben, sich zu entzünden und seinen Körper mit Gift zu überschwemmen. Gestern Abend mussten sie ihm das Bein oberhalb seines Knies amputieren. Eisele war einer der vier Männer, die den Alten halten mussten. Selbst jetzt

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