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Rattentanz

Titel: Rattentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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zieht? Offensichtlich kommen wir hier besser mit der Situation zurecht als anderswo. Ich habe gehört, inzwischen sind schon ganze Dörfer entvölkert und überall an den Straßen türmen sich Leichen.«
    »Kann diese Jugendsünde Sattlers irgendwas? Oder will er sich hier nur durchfressen?«
    »Keine Ahnung, was er ist oder kann. Aber er sieht gesund und drah tig aus. Ich denke, wenn er bleiben will, kann er uns bestimmt nützlich sein. Er macht den Eindruck, als könne er anpacken.« Und mir seine Stimme geben, wenn es so weit ist. »Übrigens habe ich deine Worte gestern nicht vergessen, Berthold. Wir alle haben Hunger …«
    »Nur dass man es dir und Rike nicht ansieht …«
    »Wir alle haben Hunger. Ich habe mir gestern lange Gedanken gemacht. Wir werden die Arbeiten im Stall und auf den Feldern neu organisieren. Und vorsichtshalber, nur für den unwahrscheinlichen Fall, dass bei Wintereinbruch immer noch nichts funktioniert, werden wir uns einen ausreichenden Holzvorrat anlegen. Was meinst du, mir kam die Idee gestern Abend, als ich noch lange allein durchs Dorf gegangen bin, das wäre doch eine Aufgabe für dich und all die, die im Moment nicht mit auf den Feldern helfen.«
    Anschließend ging er auch zu Eugen Nussberger. Bardo Schwab und Anne Gehringer traf er auf der Straße. Hildegund Teufel war nicht zu Hause. Den Abschluss bildete sein Besuch bei Frieder Faust. Hier hoffte er auch Christoph Eisele zu finden, den er weder bei seinen Eltern noch sonst irgendwo im Ort angetroffen hatte. Er, der stets präsent schien und überall irgendwas zu tun hatte, war heute wie vom Erdboden verschwunden und keiner wusste, wohin. Basler wollte Eisele und Assauer von Sattlers Sohn berichten, aber auch davon, dass der Krone-Wirt sich wegen eines Holzvorrates für den Winter einbringen wollte. Wahrscheinlich musste er es für Eisele nur noch etwas einfacher formulieren.
    Bei seinem Rundgang durch Wellendingen fiel Basler auf, wie viele unbewohnte Häuser es inzwischen gab. Von einigen Familien wusste er, dass sie abgereist waren. Die Ersten schon kurz nach der Katastrophe, andere folgten, als der Hunger kam, die Straßen längst nicht mehr passierbar waren und es auch fast kein Benzin mehr gab. Da verließen sie den Ort zu Fuß, nur mit dem, was auf eigenen Beinen laufen konnte oder sich problemlos tragen ließ. An vielen Türen hingen Zettel, Nachrichten an Reißnägeln. Botschaften wie: »28. Mai – sind heute nach Reutlingen zu Lisas Mutter aufgebrochen. Uns geht es gut. Sollten die Telefone wieder funktionieren, ruft uns auf dem Handy an. Holger und Lisa« oder »Haben gehört, dass es südlich der Alpen noch Strom und Lebensmittel gibt. Gehen nach Mailand und weiter nach Rimini. Fam. Frick. 01. Juni«.
    Aber es gab auch die anderen Häuser − Häuser ohne Zettel, aber ebenfalls mit seit Tagen verschlossenen Türen und Fenstern. Es waren Gebäude, die nach Tod rochen, nach Untergang und Niederlage. Es roch nach dem Versagen der Gesellschaft und ihrer Gemeinschaft. Es roch nach Schicksal, entschied Roland Basler. Es war Schicksal und einige hatten eben das Pech, krank zu werden oder schon seit Jahren krank zu sein, andere hatten (noch) Glück und wieder andere, zu de nen zweifellos er selbst gehörte, kämpften um ihr Überleben. Basler legte noch einen kurzen Stopp bei Andreas Albicker ein, der vor seinem Stall saß. »Ich werde dafür sorgen, dass ihr mehr Personen zur Verfügung habt. Hast du noch Diesel?«
    »Schon seit zwei Tagen nicht mehr«, sagte Albicker und massierte sein gelähmtes Bein. »Wir können von Glück reden, dass all das nach der Aussaat passiert ist.«
    »Ich kümmere mich um alles«, versprach Basler. Er ging über die Straße und klopfte an Frieders Haus.
    Susanne öffnete. Sie hatte abgenommen und unter den Augen dunkle Schatten. Sie erwiderte Baslers Gruß mit einem Kopfnicken und ging vor ihm her in die Küche.
    »Mach leise«, sagte sie. »Bubi schläft noch und Frieder …« Sie musste nicht weiter sprechen. Von oben, aus ihrem Schlafzimmer, drang Fausts Stöhnen bis zu ihnen herab. Susanne schloss die Augen. Ihre Hände zitterten, ebenso das Staubtuch, das sie festhielt, als hätte sie einen Krampf in der rechten Hand. Sie befand sich am Rand eines Zusammenbruchs, balancierte auf dem schmalen Grad, der sich zwischen Frieders Zustand und ihrer eigenen Hilflosigkeit entlangschlän gelte. Sie hatte seit Tagen das Haus nicht mehr verlassen, einzig um ihre Notdurft zu verrichten, ging sie am

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