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Rattentanz

Titel: Rattentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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lauter. Die vollen Euter schmerzten und sie wussten inzwischen, dass die Frau ihnen half. Sie war schon halb durch den Stall, als sie sich noch einmal zu ihm umwandte. »Sollte Ihnen irgendwann die Decke auf den Kopf fallen, können Sie nach der Arbeit bei uns vorbeikommen. Wir haben zwar nichts, was wir Ihnen anbieten können, aber manchmal tut es einfach nur gut, nicht allein zu sein.«
    Fuchs bedankte sich und versprach zu kommen. Er konnte seinen Auftraggeber inzwischen verstehen: Eva war eine Schönheit, selbst jetzt noch, wo Sorgen und Hunger auch in ihrem Gesicht ihre Spuren hinterlassen hatten. Vielleicht aber auch gerade deswegen. Im Krankenhaus oder während der Verfolgung hatte Fuchs nichts Besonderes an ihr feststellen können. Evas Wangen waren etwas eingefallen und ihre Haut blass und durchscheinend. In ihren Augen erkannte er Melancholie, ihre Sehnsucht und auch Hilflosigkeit. In den folgenden Tagen beschränkte sich ihr Kontakt auf einen kurzen Gruß, ein Gespräch kam nicht mehr zustande. Fuchs beobachtete sie, ging ihr aber aus dem Weg. Er verrichtete seine Arbeit unauffällig, nicht besonders schnell, auch nicht übertrieben ordentlich, aber doch so, dass Lydia Albicker einigermaßen zufrieden war. Fuchs hielt sich im Hintergrund und arbeitete an seinem Plan.
    Kiefer wollte also Eva. Er sollte sie bekommen. Hermann Fuchs würde sie ihm präsentieren, nicht auf einem Silbertablett, aber dafür sauber verschnürt und unversehrt. Zwar hatte Kiefer nie davon gespro chen, wann und wie er Eva entführen wolle, auch nicht, dass Fuchs es allein versuchen sollte, aber die Umstände forderten einen Alleingang Fuchs’ geradezu heraus. Wozu Bubi einweihen und dem am Ende dann die Lorbeeren überlassen? Fuchs stieß die Mistgabel in das, was die Tiere in der letzten Nacht hatten fallenlassen und wuchtete das stinkende Paket auf eine Karre. Er wollte möglichst schnell sein Geld zurück und Eva war der Schlüssel.
    Hermann Fuchs hatte Eva beobachtet und das Haus, in dem sie lebte. Sie verließ das Gebäude jeden Morgen und jeden Abend exakt zur selben Zeit (allein!), verrichtete im Stall die immer gleichen Arbeiten und ging schließlich bei Einbruch der Nacht allein über die Straße zurück in ihr Haus. Am Morgen etwas zu unternehmen wäre Blödsinn, aber der Abend, der Abend mit dem Schutz der Nacht im Gepäck, war für einen Alleingang wie geschaffen! Bevor jemand Eva vermissen würde, war er mit ihr sicher schon längst in Sicherheit. Die Nacht würde dabei Fuchs’ Verbündeter sein und eine effektive Suche bis zum Morgengrauen verhindern. Morgen vielleicht, spätestens übermorgen.
    Es waren noch ein paar Kleinigkeiten zu bedenken. Seile und ein Knebel mussten bereitliegen, ein erster Unterschlupf gefunden werden. Fuchs sah Eva Seger beim Melken zu. Er war zufrieden. Kiefer würde sich freuen und sein Geschenk entsprechend würdigen.

93
    15. Juni, 09:36 Uhr, Schrottplatz südwestlich von Berlin
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    Der Schrottplatz war nun seit acht Tagen Hans Segers Gefängnis!
    Aber das sollte sich heute ändern.
    Wie Hans, Henning Malow und Silvia Hofmuth im ersten Morgengrauen nach dem Unglück erkannten, besaß die zum Schrottplatz umfunktionierte Kiesgrube nur einen einzigen schmalen und sehr steilen Zugang. Die vielen Jahre, die dieser Ort nun schon vergessen in der Landschaft südlich von Berlin lag, hatten den lockeren Untergrund des schmalen Weges weggespült. Hinzu kam wild abgeladener Müll und, dies war der entscheidende Punkt, der eingestürzte Schrotthaufen. Dieser blockierte wie eine Barriere den kleinen Pfad, der den einzigen Ausweg aus der Grube darstellte.
    Malow und Silvia konnten kommen und gehen wie sie wollten, denn für einen Gesunden war das Verlassen der Grube kein Problem. Hans hingegen wurde von seinem gebrochenen Bein in der Grube festgehalten. Er saß in einem Gefängnis.
    Silvia Hofmuth und Henning Malow hatten inzwischen einen brüchigen Burgfrieden geschlossen, der Konflikt zwischen beiden flackerte allerdings fast jeden Abend wieder neu auf. Malow konnte und wollte der jungen Frau nicht verzeihen. Nicht ganz zu Unrecht gab er ihr die Schuld an der ganzen Misere. Sie war ihnen gefolgt, sie hatte sich an die schlafenden Männer in der Grube herangeschlichen, sie war zu ihnen hinaufgeklettert, um sie zu bestehlen und sie hatte so den Schrotthaufen ins Rutschen gebracht. Wäre sie, die hässlichste Frau der Welt, nicht gewesen – Malow hätte mit Seger längst den Südschwarzwald

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