Rattentanz
innen verschließen, als Malow plötzlich vor ihr stand. Er hielt ihr die Waffe an die Kehle.
»Sei still!«, zischte Malow.
Er stieß die Frau in den Stall und zog die Tür hinter sich zu. Die Tiere betrachteten den Fremden, blieben aber in der Nähe ihrer Tröge und warteten auf das versprochene Futter. An der Wand lehnte ein Sack Kartoffeln.
Malow sah sich um. Er musste sich beeilen. Er sah Seile an einem Haken an der Wand, Sättel, Pferdegeschirr.
»Sie können mich ruhig umbringen«, sagte die Frau. Sie schien weder Angst vor Malow noch vor dem Tod zu haben. Sie klang traurig und was sie sagte war ein Singsang in immer derselben Stimmlage, ohne Nuancen und Leben. »Erschießen Sie mich ruhig, ich habe nichts mehr.«
»Ich will Sie nicht töten«, sagte Malow.
»Nicht?« Ihre Stimme schaffte eine Hebung. Dann schien sie zu ver stehen. Sie legte sich auf den angenehm kühlen Lehmboden und öffnete ihre kurze Hose. Was konnte ein Mann sonst wollen?
»Lassen Sie den Blödsinn!« Malow bückte sich, packte sie am Arm und zerrte sie auf die Beine. Er war ärgerlich. Dachte etwa jede Frau, der Wille eines Mannes sei auf diese eine Aktivität zu reduzieren? Er schob die Fremde vor sich her zu den beiden Pferden, die voller Erwar tung schnaubten. Malow musterte die Tiere, während er die Frau, die vor ihm in einer Ecke stand und sich die Hose wieder hochzog, mit seiner Waffe in Schach hielt.
Malow hatte von Tieren im Allgemeinen und von Pferden im Besonderen keinerlei Ahnung. Für ihn gab es nur essbare Tiere und unnütze Tiere. Aber die neue Weltordnung hatte eine dritte Gattung hinzugefügt: Arbeitstiere. Mit Hilfe eines der Pferde würde er Seger retten können. Danach konnte der auf dem Tier reiten und im schlimms ten Fall konnte man den Gaul auch noch essen oder eintauschen. Malow betrachtete die Pferde. Das Schwarze war kleiner, dafür stämmig und kräftig. Das andere, Weißchen nannte es die Frau, tän-zelte durch den Stall. Aufgrund seines Temperaments, vor allem aber wegen seines auffälligen weißen Fells, hielt Malow es für die schlechtere Wahl.
»Legen Sie dem Schwarzen das Zaumzeug an!«, befahl Malow. Die Frau gehorchte. Als sie fertig war, fragte sie: »Auch den Sattel?«
Malow nickte. Malow musterte die Frau, während die dem Tier den Sattel anlegte. Was sollte er jetzt mit ihr machen? Die Gefahr, dass sie, sobald er aus dem Stall war, um Hilfe rief, war zu groß. Und sie würde nach Hilfe rufen, schließlich stahl er ihr gerade die Hälfte von dem, was sie noch hatte. Sie fesseln und knebeln barg die Gefahr, dass sie erstickte. Frühestens am nächsten Morgen würde sie jemand vermissen und nach ihr sehen. Sie mitzunehmen, wenigstens bis sie außer Rufweite zum Dorf waren, hielt er für lästig. Außerdem wüsste sie dann seine ungefähre Fluchtrichtung und zu einem Umweg hatte er keine Lust. Natürlich gab es auch noch die Möglichkeit, bis zum Einbruch der Nacht zu warten, aber in diesen verbleibenden sechs Stunden konnte zu viel passieren. Der Zufall war mit einem schadenfrohen Lächeln permanent unterwegs und auf der Suche nach einem ahnungslosen Opfer. Nein, auf den Schutz der Dunkelheit wollte er verzichten. Für sich fast ebenso unerwartet wie für die verdutzte Frau, schlug er ihr die Faust ins Gesicht. Er traf sie am Kinn und konnte sie gerade noch auffangen. Ihre Beine knickten wie Streichhölzer unter dem tonnenschweren Gewicht der Ohnmacht zusammen. Malow legte sie ins Heu. Dann fühlte er ihren Puls, der schlug kräftig und regelmäßig. Alles war in Ordnung.
Henning Malow nahm zwei dicke Packen Seil von ihren Haken und befestigte sie am Sattel. Dann fiel sein Blick auf den Sack Kartoffeln. Auch ihn lud er auf. Schließlich öffnete Malow die Stalltür einen winzigen Spalt und spähte hinaus. Alles war ruhig und weit und breit niemand zu sehen, nur vom Dorf klang das regelmäßige Klopfen und Kratzen der Arbeiten am zukünftigen Dorfteich zu ihm herüber. Nachdem er die Tür hinter sich verriegelt hatte, ging Malow mit dem Tier um das Gebäude. Es folgte ihm zwar über den Graben, schnaubte aber und wendete immer wieder den Kopf Richtung Stall. Es wollte zu seinem Gefährten, zu der Frau, die Futter brachte. Aber Malow trieb es bis zu einem nahen Kiefernwäldchen. Gemeinsam verschwanden sie zwischen den Stämmen und der weiche Waldboden dämpfte jedes Geräusch.
Malow erreichte eine Stunde später das Versteck. Hans Seger fand er im Schatten des Lasters, der ihm das Bein
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