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Rattentanz

Titel: Rattentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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das eine passt nicht zum anderen.«
    Nach der Beerdigung ging Thomas zurück zum Stall. Den Tieren war egal, ob Hildegund Teufel lebte oder ob sie ein, zwei Meter tief unter den Hufen der Rinder lag. Die Tiere wollten fressen und sie mussten gemolken werden. Und das Dorf brauchte ihre Milch dringender denn je. Bea Baumgärtner hatte gemeinsam mit einigen anderen Frauen damit begonnen, überschüssige Milch zu Quark und Käse zu verarbeiten. Sie hatten in den Kochbüchern ihrer Mütter und Großmütter alte Rezepte gefunden und Bardo Schwab, Tischler ohne die Gabe, ein eigenes Unternehmen zu organisieren, fertigte ihnen nach Abbildungen aus einem dieser Bücher die dafür notwendigen Gerätschaften. Uwe Sigg half ihm ohne allzu große Begeisterung. Aber diese Arbeit war angenehmer als mit dem Krone-Wirt durch die umliegenden Wälder zu ziehen und Holz zu sammeln. Überhaupt fühlte er sich im Ort sicherer, denn einige Heimatlose, die nirgendwo mehr aufgenom men wurden, streunten wie Hunde durch die Gegend und suchten nach Essbarem.
    Bevor Thomas den Friedhof verließ, hatte er Bardo Schwab dabei be obachtet, wie der ein einfaches Holzkreuz mit dem Namen der alten Frau in die lockere Erde am Kopfende ihres Grabes steckte. Thomas hatte währenddessen den makellos blauen Himmel beobachtet und mit einem eindeutigen Zeichen der Missbilligung von oben gerechnet. Aber nichts dergleichen geschah. Es ist ein seltsamer Ort hier, dachte Thomas, wenn ungestraft ein Symbol der Christenheit auf das Grab eines Teufels gesteckt werden darf.
    Thomas hatte seine morgendliche Begegnung mit Hermann Fuchs vergessen. Vielleicht wäre aber auch »verdrängt« der richtige Ausdruck. Als er in Fuchs’ Augen gesehen hatte, waren die Bilder vom Hardt und die Gefahr, in der er augenblicklich wieder schwebte, sofort gegenwärtig, aber etwas in ihm zog den Schleier des Vergessens zu und Fuchs war auch vergessen.
    Hermann Fuchs hingegen hatte nichts vergessen, nicht woher er Thomas kannte und dass dieser, war er auch noch so minderbemittelt, einer Erkenntnis nicht ewig davonlaufen konnte. Auch hatte Fuchs nicht vergessen, wozu er hier war und dass heute der Tag war, an dem sich sein Leben entscheiden sollte. Während alle die alte Frau zu Grabe trugen, hatte er noch einmal seine Vorbereitungen überprüft: der mit Stoff umwickelte Knüppel, den Zugang zum Keller und die dort bereitliegenden Stricke und einige Lappen, mit denen er Eva fesseln und knebeln wollte. Er betrachtete immer wieder den Zugang zum Keller. Sah alles natürlich aus? Lag der Eingang gut verborgen? Im Stall selbst spielte er mehrfach durch, was am Abend geschehen musste. Er schlenderte mit dem Knüppel hinter dem Rücken mal an diese, dann an jene Stelle des Stalles, wusste er doch nicht, wo Eva am Abend melken würde. Dann zog er die Waffe hervor und schlug mit ihr auf ein imaginäres Opfer vor sich ein. Jedes Mal hielt er kurz inne und betrachtete seine Umgebung. Aber es war fast egal, wo es ge schehen sollte, sehen konnte ihn immer jemand.
    Gäbe es eine Möglichkeit, Eva allein abzupassen, hätte er nicht gezögert – aber leider gab es nur den Stall. Außerdem drängte die Zeit. Bubi hatte Fuchs auch heute wieder nach dessen Ergebnissen gefragt. Lange konnte er Bubi und Kiefer nicht mehr hinhalten, aber das würde nach dieser Nacht auch nicht länger nötig sein. Wichtig war, dass alles schnell ging. Bevor auch nur einer der Menschen, die bestimmt mit im Stall waren, verstand, was vorging, musste er Eva auch schon in den Keller getragen haben. Wieder und wieder lief er die Wege von den infrage kommenden Tatorten zum Versteck ab und räumte im Weg stehende Utensilien zur Seite. Als Eva schließlich den Stall betrat, ihm wie im mer freundlich zunickte und mit ihrer Arbeit begann, wusste er: was menschenmöglich war, hatte er getan.
    Nach dreißig Minuten war die Gelegenheit da. Die meisten anderen hatten den Stall mit einer Kanne Milch verlassen. Thomas war mit Lea in Fausts Haus gegangen und Lydia Albicker damit beschäftigt, die letzten Krümel Kraftfutter, die sie noch hatte, möglichst gerecht unter den Tieren zu verteilen. Den Hauptanteil erhielten drei trächtige Tiere, auf denen die Hoffnungen aller lagen, denn sollte unter den erwarteten Kälbern kein kleiner Bulle sein, musste die Tierpopulation über kurz oder lang aussterben. Es gab weit und breit keine Zuchtbullen und die einzigen geschlechtlichen Erlebnisse der Kühe in diesem und in den Ställen der Umgebung

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