Rattentanz
er aber auch schon in fünf Minuten eine plötzliche Erhellung erfahren, wer wusste das schon? Die Zeit des Beobachtens, des Abwartens und Planens war vorbei, Fuchs hatte einen Entschluss gefasst! Man konnte auch zu lange planen, irgendwann musste es einmal gut sein und für ihn war Evas Verspätung, vor allem aber das Zusammentreffen mit Thomas Bachmann, Warnung genug. Sein Plan musste heute Abend noch umgesetzt werden, bevor der Zufall ihm einen weiteren Strich durch die schöne Rech nung machte!
Alles war vorbereitet. Alles wartete nur auf Eva.
97
17:14 Uhr, Wellendingen
----
Hildegund Teufels Beisetzung fand noch am selben Tag statt. Der Sommer hatte in den letzten Tagen mit aller Kraft Einzug gehalten und es war heiß – nicht die richtige Zeit, eine Leiche mehrere Tage aufzubahren.
Hildegund Teufel war eine der wenigen, die in diesen Tagen eines halbwegs normalen Todes gestorben waren. Natürlich, in der alten Zeit hätte Antibiotika ihr Leben vielleicht noch um ein paar Wochen verlängert, aber die Uhr ihres Lebens war abgelaufen und sie starb nicht an Hunger und auch nicht eines gewaltsamen Todes – ein Privileg, welches den meisten der überreichlich vermodernden Leichen versagt geblieben war.
Hildegund Teufel war zufrieden eingeschlafen. Sie hatte, auch als alle schon dachten, dass die alte Frau nicht mehr mitbekam, was um sie geschah, die Anwesenheit der Menschen in ihrem Schlafzimmer genossen. Sie hatte überlegt, ob im Haus wohl alles in Ordnung war, wann sie zuletzt die Fenster und den Boden gereinigt hatte. Die Tapete war alt und vergilbt, das wusste sie, und in der Ecke über der Tür löste sich eine Bahn und hing seit Monaten herunter. Es hatte sie immer gestört, wenn sie im Bett lag. Es war am Abend das Letzte und am folgenden Morgen das Erste gewesen, was sie gesehen hatte. Erst danach gingen ihre Blicke zu dem Kruzifix neben dem Fenster hinüber und sie betete still für einen glücklichen Tag oder dankten für die überreichen Geschenke, die Gott ihr trotz allem gemacht hatte.
Sie hatte nicht mehr die Kraft gehabt, die Augen zu öffnen und nach dem Rechten zu schauen. Aber wozu auch? Sie spürte den Tod kommen und war damit einverstanden, mit siebenundachtzig war es wirklich an der Zeit, das Leben Jüngeren zu überlassen. Aber war es noch ein lebenswertes Leben, das da auf die Kommenden wartete? Hildegund Teufel hatte lange darüber nachgedacht und die Hand der Krankenschwester gespürt, die ihr immer wieder das Gesicht mit einem feuchten Tuch abgetupft hatte. Gern hätte sie ihr gedankt, aber die Kraft war verschwunden, es reichte eben noch, die alte Pumpe in ihr gerade noch so lange am Laufen zu halten, dass all die, die ihr wichtig waren, sie noch ein letztes Mal lebend sehen konnten. War es ein lebenswertes Leben, das, was von dieser modernen Welt noch übrig war? Natürlich war es das! Sie war überzeugt, dass Gott aufpasste. Gott würde die Menschen beschützen, so lange sie sich selbst beschützten. Gott verschenkte nichts an den Untätigen, aber er half denen, die sich bewegten.
Sie hatte sich über den Besuch des Pfarrers und seiner Haushälterin, Hildegund Teufels Nachfolgerin im Pfarrhaus, gefreut. Dem Kro neWirt und seiner Frau dagegen war sie nun wirklich nicht nahegestanden. Mit deren Besuch hatte sie nicht gerechnet. Sie waren neben Roland Basler die einzigen Besucher, deren Hiersein sie ein wenig unangenehm berührt hatte. Eva und ihre Kleine waren gemeinsam mit Susanne Faust gekommen. Schade, dass Frieder krank war, ihn hätte sie gern noch ein letztes Mal in ihrer Nähe gehabt. Es tat ihr leid, dass sie ihn, seit er krank in seinem Schlafzimmer eingesperrt lag, nicht besucht hatte, aber er würde es ihr alten Frau nachsehen, wenn er wieder gesund war. Dass er genesen würde, stand für sie fest. Er musste gesund werden, denn das Dorf brauchte ihn. Er war ein Mann, den niemand zu Beginn der Katastrophe auf der Rechnung gehabt hatte und doch – und dies zeigte sich in diesen Tagen auf schmerzliche Weise – war er offensichtlich der Einzige, der die Gemeinschaft am Leben halten konnte. Er musste zurückkommen.
Susanne hatte sie nur an ihrer müden Stimme erkannt, seltsamerweise spürte sie nichts, konnte den Menschen nicht spüren. Als Susanne an ihrem Bett stand, meinte Hildegund Teufel, ein Tonband wür de in einem leeren Raum abgespielt. Aber noch ehe sie sich dessen richtig bewusst werden konnte, war endlich der Junge gekommen, ihr Junge, wie sie ihn so gern
Weitere Kostenlose Bücher