Rattentanz
liefen Tränen über die Wangen.
»Sie war eine sehr alte Frau«, sagte er.
»Ich meine nicht Hildegund. Ich meine das alles!« Sie zeigte auf die vielen frischen Gräber ringsum. Assauer kam mit Thomas und Lea dazu. »Ich meine Frieder. Warum unternimmt Gott nichts? Sie müssen das doch wissen, Herr Pfarrer. Mit mir redet Gott nicht. Redet er mit Ihnen? Was hat er gesagt?«
»Komm Susanne. Wir müssen nach Frieder sehen.« Eva legte den Arm um Susanne und versuchte, sie wegzuziehen. In dem Maße, wie es ihrem Mann langsam besser ging, schien sie in sich zusammenzufallen. Heute hatten sie Frieder erstmals für eine Stunde allein gelassen.
»Nein«, wehrte sie die Freundin ab. »Ich will jetzt endlich eine Antwort!«
»Ich weiß keine Antwort«, sagte Kühne. »Ich weiß nur, dass wir wirklich verloren sind, sollten wir unsere Hoffnung verlieren.« Eva nahm Susanne in den Arm und führte sie weg.
»Es wird nicht das letzte Mal sein, dass man Sie nach Gottes Plänen fragt.« Eckard Assauer, der das Gespräch zwischen Susanne und dem Pfarrer mitgehört hatte, trat dazu. Gemeinsam sahen sie den Frauen und Männern des Dorfes nach, die den Friedhof verließen und sich zerstreuten.
»Ich wäre froh, ich wüsste etwas von seinem Plan«, erwiderte Küh ne. »Aber vielleicht können wir auch einfach wieder einmal nicht verstehen. Oder was, wenn es nun nicht sein Plan war, sondern der der anderen Seite?«
»Sie meinen den Teufel?«
Kühne nickte.
Assauer sah den Pfarrer an, dann erneut auf die Gräber. Er lächelte bitter und schüttelte den Kopf. »Gott, Teufel, gut, böse … immer die anderen! Haben Sie schon mal die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass weder Gott noch sein ewiger Gegenspieler was mit dieser Geschichte zu tun haben?«
»Gott hat mit allem etwas zu tun!«
»Von mir aus, wenn Ihnen dieser Glaube hilft, warum nicht.« Assauer fuhr sich mit der Hand durch den weißen Bart. »Aber mir gibt die Vorstellung, dass irgendein Gott uns jetzt zusieht und nicht eingreift, wenig Hoffnung für die Zukunft. Wissen Sie, Herr Pfarrer, in meinen Augen ist dies alles Menschenwerk. Irgendwo ist irgendwas verdammt schiefgelaufen. Und jetzt ist es zu spät für eine Reparatur.«
»Vielleicht wollte uns Gott so von unserer zunehmenden Technikgläubigkeit wegbringen?«, überlegte der Pfarrer. »Von der Gier des Men schen nach immer mehr und noch mehr. Uns ging es doch wirklich gut und trotzdem war Zufriedenheit fast schon ein Makel. Wer nicht sofort nach Feierabend an seinem Haus bastelte, sondern sich zufrieden an dem freute, was er besaß, wurde als Exot belächelt. Vielleicht war das der Grund.«
»Aber dann muss man doch nicht gleich zu solchen Maßnahmen greifen«, sagte Assauer und zeigte auf die Grabhügel. »Ein kleiner Warn schuss hätte es doch auch erst mal getan.«
»Wahrscheinlich gab es diesen Warnschuss, wie Sie es ausdrücken. Und wahrscheinlich haben wir nur mal wieder nichts bemerkt oder wir dachten, wir hätten alles im Griff. Wie immer halt. Gott lässt seinen Geschöpfen die Freiheit zuzuhören und zu entscheiden. Gott schreibt nichts vor, aber er sieht auch nicht ewig tatenlos zu.«
»Bitte, Herr Pfarrer, bitte kommen Sie jetzt nicht mit der Geschich te vom freien Willen. Der liebe Gott und der böse Teufel! Schwarz und weiß und alles ist klar und die Zuständigkeiten einwandfrei zugeordnet. Nichts und niemand ist nur schwarz oder nur weiß. Wenn es einen Gott gibt …«
»Es gibt ihn.«
»… dann ist er im besten Falle hellgrau und sein Kontrahent dunkelgrau, aber nicht schwarz. Und Gott ist bestimmt nicht so unschuldig wie Ihre Fraktion, Herr Pfarrer, immer tut. Wer war zuerst da, Gott oder seine Engel?«
»Gott natürlich.«
»Und die Engel? Sind das seine Geschöpfe? Wenn ja, dann hat Gott auch den Teufel geschaffen, was zu einer gehörigen Mitschuld an dessen späteren Aktivitäten führt. Also ich an Gottes Stelle hätte heftige Bauchschmerzen.« Der Pfarrer wollte etwas erwidern, aber Assauer redete sich in Rage. »Warum lässt Gott die Menschen frei entscheiden, wenn er doch um deren Unvollkommenheit weiß? Warum vernichtet er nicht einfach den Teufel und damit das Böse? Von einem Tag auf den anderen wäre die Welt in Ordnung. Wissen Sie, was in meinen Augen die logischste Erklärung ist? Sollte ich mich irren und Gott und der Teufel existieren tatsächlich, dann sind sie Geschwister. Zwei Brüder im ewigen Wettstreit. Gott schuf die Welt und der Teufel schuf den Menschen. Und
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