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Rattentanz

Titel: Rattentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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Susanne hatte ihre letzte Kerze für diesen Tag aufgespart. Jetzt flackerte sie in der Mitte des Küchentisches. Den Tisch zu decken, das Tischtuch auszubreiten und ein paar Blumen aus dem Garten um den Teller ihres Mannes herum zu verstreuen, war ihr größtes Glück seit Wochen. Die Arbeiten gaben ihr das Gefühl von Normalität. Es gab etwas zu feiern.
    Außer Frieder Faust und seiner Frau waren Assauer, Eisele und Lea gekommen. Eva verspätete sich einige Minuten – man hatte sie aufs Hardt gerufen, wo sich jemand beim Setzen eines Strommastes den Fuß verstaucht hatte. Pfarrer Kühne ließ seine Grüße ausrichten und kündigte sich für den kommenden Tag an. Basler hatte niemand von Fausts Genesung informiert.
    Faust fiel auf seinen angestammten Platz. Die wenigen Schritte vom Schlafzimmer in die Küche hatten ihn erschöpft.
    »Willst du Kaffee?« Susanne sah ihn an.
    Zu ihrer Freude nickte Faust. Einer nach dem anderen setzte sich an den Tisch und Susanne verteilte ihren frisch gebrühten Kaffee. Oft, dachte sie, wird es so etwas nicht mehr geben.
    Trotz aller Proteste aß Faust nur ein halbes Stück Kuchen. Dafür trank er literweise Wasser. Er betrachtete seine Frau und seine Freunde wie ein Geschenk. Und es war auch ein Geschenk, hier sitzen zu dürfen, das wusste er. Eva hatte es ihm erzählt, ihm erklärt, was mit ihm geschehen war, wie viel Zeit inzwischen vergangen war und wer sich in diesen langen Stunden seines Albtraumes um ihn gekümmert hatte.
    Nach einer halben Stunde klopfte Lydia Albicker, um Eva abzuholen. Lydia gratulierte Faust zu dessen Wiedergeburt, wie sie sich ausdrückte. Lea begleitete ihre Mutter und Susanne brachte die Küche in Ordnung.
    »Viel passiert.« Faust konnte von seinem Platz aus das Dorf, das Hardt und das Flugzeug sehen. Unterhalb der Absturzstelle nahm Christian Stadlers Projekt Gestalt an. Winzige Menschen waren zu er kennen, Männer und auch Frauen, die soeben einen weiteren Mast aufrichteten. »Stadler glaubt an seine Sache, was?«
    »Und wie!«, bestätigte Eisele. »Er war von der Entscheidung der Bonndorfer dermaßen enttäuscht, dass er ohne Zögern auf meinen Vorschlag eingegangen ist. Eigentlich wollte ich ja nur sein Wissen, aber so ist es natürlich noch viel besser!«
    »Hat er prophezeit, ob der Strom für den ganzen Ort ausreicht?«, wollte Faust wissen.
    »Wahrscheinlich nicht«, antwortet statt Eisele Eckard Assauer. Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Stadler meinte, dass es vielleicht für die Hälfte reicht, vorausgesetzt, wir haben Wind. Keine Ahnung, wie er das alles bis zum Herbst geschafft haben will.«
    »Ihr seid euch sicher, dass wir ins richtige Projekt investieren?«
    fragte Faust. In seinen Augen gab es Wichtigeres als ein bisschen Strom. Noch dazu Strom, der nicht kontinuierlich und nicht in einer gleichmäßigen Stärke floss.
    Eisele zuckte mit den Schultern. »Seit Stadler bei uns ist, ziehen alle endlich wieder am selben Strang, nicht nur beim Windrad, auch sonst. Wir haben plötzlich wieder Hoffnung, Frieder. Als es dir schlech ter ging und du nicht mehr zu unseren Treffen kommen konntest, war die Luft raus aus unserem Dorf. Basler hatte niemanden mehr, der ihn mit Ideen versorgte und zeigte, wo die Probleme sind. Basler ist heillos überfordert. Wie wir alle.«
    »Aber jetzt bist du ja wieder bei uns.« Susanne wischte den Tisch ab und gab ihrem Mann einen Kuss auf die Wange.
    »Stimmt es wirklich, dass gerade noch einhundert Menschen am Leben sind?« Bubi hatte seinem Vater diese Neuigkeit überbracht. Faust weigerte sich, seinem Sohn zu glauben.
    »Eher weniger«, sagte Assauer. »In den vergangenen drei Tagen haben wieder einige den Ort verlassen, drei sind gestorben.«
    »Aber damit ist jetzt Schluss!«, prophezeite Christoph Eisele.
    »Weg gehen wird nun kaum noch jemand, wo wir doch bald wieder Strom haben. Außerdem bist du zurück, Frieder.«
    Faust rührte in seinem Kaffee. Vor fünf Wochen lebten hier noch mehr als vierhundert Menschen. Konnte das sein? Achtzig Prozent einfach weg, verschwunden? Fortgelaufen oder unter der Erde? Es konnte sein und es war so.
    »Und dich hat man also an meiner Stelle in den Rat gewählt?«
    Assauer nickte und erzählte Faust die Geschichte von der letzten Wahl und Baslers Versuch, Bubi in den Rat zu holen.
    »Wieso wollte er meinen Sohn?«
    »Keine Ahnung.« Eisele zuckte die Schultern. »Vielleicht dachte er wirklich, dass der Sohn den Vater ersetzen sollte. Vielleicht steckt auch was

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