Rattentanz
ganz anderes dahinter. Weder Basler noch Bubi haben jemals wieder darüber gesprochen.«
»Seltsam.«
»Bubi schläft noch?«, fragte Assauer.
»Ist spät heimgekommen«, antwortete Susanne aus dem Wohnzimmer. Der Fernseher glänzte und trotzdem polierte sie ihn mit ih rem Antistatiktuch. Sollte er irgendwann wieder angehen, wollte sie bereit sein.
»Wie steht’s mit Nahrungsmitteln?«, wollte Faust wissen.
»Jetzt geht es.« Assauer spielte mit seinem Kaffeelöffel.
»Jetzt?«
»Nachdem uns so viele verlassen haben«, fügte Assauer hinzu. »Je des Ding hat zwei Seiten. Achtzig Prozent sind gegangen oder gestorben. Aber so reichen unsere Milch und die Eier vielleicht bis zum Herbst. Es wird zwar niemand mehr satt, aber vielleicht muss auch niemand mehr sterben. Jedenfalls nicht an Hunger.«
»Ist Hildegund Teufel verhungert?«, fragte Faust. Er hatte Angst vor der Antwort, aber er musste wissen, ob man die Alte einfach vergessen hatte.
»Gott bewahre!« Eisele rutschte auf seinem Stuhl hin und her. »Es war eine Lungenentzündung, sagt Eva. Und seit sie krank wurde, ist immer jemand von uns bei ihr gewesen.«
»Sogar Roland«, rief Susanne. Sie hielt sich an ihrem Putzlappen fest. Er schien sie zu halten, nicht sie das Tuch.
»Roland Basler kam aber erst, als die alte Teufel schon tot war.«
»Aber er war da«, beharrte Susanne.
»Und noch immer weiß niemand, was geschehen ist?« Eisele und Assauer schüttelten den Kopf. »Überall das Gleiche?«
»Leider.« Assauer erzählte von einem jungen Schweizer, der vor vier Tagen durch das Dorf gekommen war. Er stammte aus Zürich. Was er berichtete, ließ das eigene Leid in Wellendingen fast wie das Paradies erscheinen. »Zuerst Plünderer, dann Mord und Vergewaltigung, schließlich Hunger. Ich denke, der Mann war ehrlich, wenn ich auch nicht glauben kann, dass Zürich inzwischen annähernd menschenleer ist.«
»Aber es wäre logisch«, sagte Eisele. »Wie will jemand in der Stadt überleben, wo es doch keine Geschäfte mehr gibt?«
Assauer und Eisele berichteten noch von anderen Reisenden. Es waren wenige, die Wellendingen passierten, aber was sie erzählten, zeigte, dass niemand mehr auf Hilfe von außen hoffen durfte. Es wäre die größte Dummheit, still dazusitzen und auf den großen Retter zu warten. Basler war inzwischen der Einzige, der noch die Rückkehr zum Alten predigte. Noch immer war er felsenfest überzeugt, dass bis zum Wintereinbruch die Welt wieder zivilisiert, hell und warm sein würde. Er belächelte die Ängste der anderen und besonders deren Anstrengungen. Holzvorräte waren in seinen Augen ebenso überflüssig wie Stadlers Stromprojekt, aber das hütete er sich öffentlich zu sagen.
»Und so einer steht unserem Rat vor!« Eisele verdrehte die Augen.
»Basler sollte uns Mut machen, statt falsche Hoffnungen zu schüren.«
»Aber Hoffnungen lassen sich eben besser verkaufen als Arbeit«, sagte Faust. »Und man macht sich dabei nicht die Hände schmutzig.«
Faust schüttelte den Kopf. »Als ich langsam wieder wach wurde und viel Zeit hatte, über alles nachzudenken, hatte ich gehofft, dass in Basler doch etwas mehr als nur ein Politiker steckt. Aber da habe ich wohl falsch gehofft.«
»Er schielt bereits nach der nächsten Abstimmung«, sagte Assauer.
»Das war jedenfalls das Erste, was ihm nach Hildegund Teufels Tod einfiel.«
»Vielleicht sollten wir tatsächlich wieder abstimmen«, sagte Faust. Er machte sie neugierig. »Aber nicht über den freien Platz der alten Teu fel, sondern über den gesamten Rat. Es wäre jedenfalls an der Zeit.«
»Das wird Basler aber gar nicht gefallen!«, lachte Eisele.
»Ist auch nicht unsere Aufgabe, ihm eine Freude zu bereiten. Arbeitet er irgendwo mit?«
»Nein.«
»Und wovon lebt er?«
»Rike geht ab und zu mal in den Stall und holt sich eine Kanne Milch. Mehr weiß niemand.«
»Kann er einen so vollen Keller haben, dass er und seine Frau damit Wochen überleben?«, fragte Faust.
»Anscheinend schon. Die beiden haben jedenfalls kaum abgenommen und Roland passt noch immer in seine Anzüge. Wieso – frag mich nicht.«
»Heute ist Mittwoch«, sagte Assauer. Er überlegte einen Moment.
»Wir könnten am Sonntag nach dem Gottesdienst alle in die Krone bitten und neu über den ganzen Rat abstimmen lassen.«
»Ohne Basler vorher zu informieren?«
Assauer nickte.
»Das gibt gehörig Krach«, sagte Faust.
»Den gibt es bestimmt.« Assauer lächelte. »Aber so hat Basler keine Zeit für
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