Rattentanz
bemerkt, dass er laut gedacht hatte.
»Ist auch egal«, sagte Kiefer. »Wird Seger mit zur Versammlung kommen?«
Bubi nickte. »Hans soll Basler den Todesstoß versetzen, wenn man so will. So hat es jedenfalls mein Vater genannt. Er soll sich in der Krone verstecken und, wenn die Menge sich nicht zwischen Roland und meinem Vater entscheiden kann, wie aus dem Nichts auftauchen und selbstverständlich für Vater Partei ergreifen.« Bubi lachte auf.
»Mich hat Vater kein einziges Mal gefragt, was ich über alles denke. Er hat nicht einmal nach meiner Meinung gefragt oder ob ich vielleicht einen anderen Plan parat hätte. Hätte mir meine Mutter nicht von seinem und Assauers Vorhaben erzählt, wüsste ich heute noch nichts. Aber kaum ist Hans ein paar Stunden im Haus, weiht Vater ihn ein, fragt ihn um Rat und macht ihn sogar zu einem Teil seines Plans. Komisch, nicht? Hans ist ihm wichtiger als der eigene Sohn. Na ja, so sind sie halt.« Bubi spielte an seinem Gewehr herum.
»Seger ist zurück.« Martin Kiefer hatte Bubi nicht weiter zugehört. Es gab Wichtigeres als dessen Vater-Sohn-Beziehung. »Nun gut. Wenn Seger schon mal da ist, soll er auch am Unterhaltungsprogramm teilhaben dürfen.«
»Was meinst du?«
»Es wird der i-Punkt auf diesem Sonntag. Seger wird zusehen müssen, wie Eva zu mir zurückkommt. Was hältst du davon, Bubi? Los, sag schon, ist das nicht genial, he?«
»Und danach verschwinden wir von hier?«
»Klar doch. Du und ich und Eva. Und meine Leute aus Bonndorf. Wie versprochen, Bubi, wie versprochen. Aber erst müssen wir uns noch Eva holen. Basler hat sich nicht bei dir gemeldet?« Bubi schüttelte den Kopf.
»Sehr gut, dann hält er Wort.«
»Hast du Sattlers alten VW zum Laufen gebracht?«
»Klar doch!«, antwortete Kiefer. »Der Kanister Sprit, den du letzte Nacht gebracht hast, reicht locker ins Dorf, wieder zurück und noch ein Stück weiter. Verfolgen wird uns niemand, Bubi. Niemand.«
Bubi erhob sich und ging zur Tür. »Dann machen wir alles so wie besprochen?«
»Wie besprochen. Wie besprochen«, bestätigte Kiefer. Sein Blick hastete umher. »Du weißt, wo dein Platz ist? Gut. Und pass auf Seger auf, kann jedenfalls nicht schaden, wenn du ihn im Auge behältst. Und du gibst dich erst zu erkennen, wenn Eva bei mir im Auto sitzt, verstanden?«
»Wie wir es besprochen haben.«
Thomas Bachmann saß in der Kirche und war traurig. Lea war gestern nicht in den Stall gekommen. Leas Mutter, die zum Melken erschienen war, sagte, es sei alles gut und er brauche sich keine Sorgen zu machen. Aber das stimmte nicht. Thomas spürte, dass sie ihn belog. Wie die meisten Erwachsenen konnte auch Leas Mutter lügen und ihm dabei auch noch ins Gesicht lächeln. Lernten sie das auf irgendeiner Schule, auf die Leute wie Thomas nicht gehen durften? Musste man so sein, um als normaler Erwachsener anerkannt zu werden? Vielleicht ist das Engelchen krank?, fragte zu allem Überfluss Nummer zwei. Aber warum lächelte dann ihre Mutter? Nein, wusste Thomas, Lea war nicht krank. Das war das Gute. Das Schlechte war, dass er gestern allein die Kühe hüten musste und dies auch heute, nach dem Gottesdienst, würde allein tun müssen. Thomas saß neben Fräulein Guhl, der Haushälterin des Pfarrers, und tat so, als ob er der Predigt folge. Leas Mutter war als eine der Letzten gekommen. Und mit ihr auch der kleine Engel!
Thomas hatte sie bemerkt. Beide schlüpften in den kühlen Kirchen raum und setzten sich sofort in die letzte Reihe, aber Thomas entgingen sie nicht. Aber wenn Lea gesund war und sogar in die Kirche kommen konn te, wieso ließ sie ihn dann allein? Auf dem Schoß hielt er seine schwarze Aktentasche. Die Thermoskanne darin war voll mit frischem Melissentee. Am Ende seiner Predigt verlas Pfarrer Kühne eine Mitteilung Fausts. Fausts Name fiel nicht. Offiziell bat der Rat Wellendingens alle Einwohner im Anschluss an den Gottesdienst zu einem Treffen ins Gasthaus Krone.
Basler spielte den Überraschten. »Was soll das?«, fragte er Christoph Eisele im Hinausgehen. »Wieso setzt ihr eine Versammlung an, ohne vorher mit mir darüber zu sprechen?«
»War nicht meine Idee«, sagte Eisele. Er beeilte sich wegzukommen und ließ Basler einfach stehen. Als die Prozession von der Kirche zum Gasthaus angekommen war und alle ihren Platz gefunden hatten, waren noch viele Stühle leer. Frieder Faust saß am Tresen, wie schon so oft in seinem Leben. Aber diesmal ohne Alkohol. Er betrachtete die Menschen im
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