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Rattentanz

Titel: Rattentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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diese Tür ganz langsam und gemeinsam starr ten sie auf eine kleine Glühbirne, die mal stärker, mal etwas schwächer leuchtete. Sie flackerte ordentlich, wie eine Kerze im Wind, aber sie brannte! Immerhin.
    »Ich glaub’s nicht«, sagte Hans. »Stadler hat es tatsächlich geschafft!«
    »Und keinem was davon erzählt. Macht einfach die Lichter an und sagt nichts.«
    »Keinem.«
    Sie standen einige Minuten Arm in Arm splitternackt vor dem Kühl schrank und bestaunten das Wunder, das Christian Stadler klamm heimlich bewerkstelligt hatte. Eigentlich hatte er die fehlende Hauptverbindung zwischen dem Windrad und dem kleinen, abgetrennten Stromkreis im Dorf bereits gestern Abend hergestellt, doch hatte die Windstille seinem Plan einen Strich durch die Rechnung gemacht. Er hatte bis kurz nach Mitternacht auf dem Hardt gewartet, dann war er zu Eisele gegangen, wo er wohnte, und hatte sich schlafen gelegt. Jetzt, in diesen Minuten, wurde er von einem vergessenen Radiowecker aus dem Schlaf gerissen. Knistern und Rauschen erinnerten daran, dass nirgendwo mehr ein Sender in Betrieb war. Aber ein Anfang war gemacht. Susanne Faust wurde von ihrem Fernseher geweckt. Sie wankte ins Wohnzimmer, wo bereits Bubi auf sie wartete. Dann kamen Henning Malow und Silvia aus ihren Zimmern. Sie wohnten seit Frieders Tod bei ihr und in letzter Zeit wurden dank Larissa die Phasen der Lethar gie und Hilflosigkeit bei Susanne immer seltener. Susanne kam gerade noch rechtzeitig ins Wohnzimmer, um kurz die grauen Lichtpunkte auf dem Bildschirm bewundern zu dürfen. An ihr lag es nicht, der Fernseher war sauber. Dann ging das Gerät einfach aus. Ein Blick zum langsam austrudelnden Windrad genügte, um den Grund zu wissen. Der Fernseher ging aus, ebenso Segers Kühlschrank, der Radiowecker neben Stadlers Bett und all die anderen Relikte, die Wellendingen für ein paar Minuten in glücksselige Melancholie stürzten. Am späten Nachmittag traf man sich wie verabredet bei Hans Seger hinter dem Haus. Eva hatte eine Schale frisches Obst auf den Tisch gestellt, dazu eine Kanne kalten Pfefferminztee und Honig. Stadlers gelungenes Windradexperiment verdrängte zunächst jeden Gedanken an den eigentlichen Grund ihres Treffens. Schließlich ließ sich das The ma aber nicht länger umgehen.
    »Ihr wisst, warum wir heute zusammen sind?« Nicken. »Ich hab auch keine Ahnung, was aus Kiefer werden soll, aber ich weiß, dass die jetzige Situation kein Dauerzustand ist.«
    Eva stand im Türrahmen zur Terrasse und hörte ihrem Mann zu. Sie hatte ein ungutes Gefühl in der Magengegend. Es ging hier indirekt auch um sie, nicht nur um Martin.
    »Habt ihr euch schon Gedanken gemacht? Was sollen wir mit Kiefer machen?«
    Vier Wochen saß Kiefer nun in Haft, vier Wochen, die den ersten Zorn hatten verrauchen lassen. Nicht, dass Hans nicht sofort hätte in den Keller gehen und Kiefer zu Tode prügeln können – dies könnte er, ohne dabei mit der Wimper zu zucken. Und wie ihm ging es fast allen hier am Tisch. Aber es waren inzwischen vier Wochen vergangen. Hät te man ihn noch vor dem Gasthaus gelyncht – es wäre in Ordnung gewesen. Jetzt aber wäre der Gang in Kiefers Verlies und die anschließende Tat kein Affekt mehr, sondern ein wohlüberlegter Mord, wenn auch ein gerechtfertigter.
    »Weiß keiner, was wir mit ihm machen sollen?«
    »Lassen wir ihn in seinem Loch«, sagte Basler. Er stellte sein Glas ab und rückte an den Tisch, damit auch ja alle seine Hände und seine Gesten sehen konnten. »Er hat nichts Besseres verdient. Bis zum Früh jahr wird sich das Problem von allein erledigen und wir müssen uns nicht die Hände schmutzig machen.«
    »Darum geht es nicht«, widersprach Assauer. »Wir werden uns auf keinen Fall die Hände schmutzig machen. Die Frage ist nur, und dies wird entscheidend sein für unser künftiges Zusammenleben: Kann je der machen was er will, ohne eine Bestrafung fürchten zu müssen oder halten wir uns an die Normen und Werte, mit denen wir aufgewachsen sind?«
    »Natürlich werden wir uns daran halten«, entgegnete Basler.
    »Sehr gut. Dann haben wir aber das Problem der Bestrafung. Soviel ich weiß, ist kein Richter unter uns.«
    »Ich bin Anwalt. Wenn auch für Familienrecht«, sagte Basler.
    »Also. Welche Strafe hätte Kiefer unter den alten Verhältnissen zu erwarten?«
    »Lebenslang. Bei guter Führung käme er nach fünfzehn oder zwanzig Jahren wieder raus.«
    »Können wir es uns leisten, zwanzig Jahre einen Martin Kiefer

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