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Rattentanz

Titel: Rattentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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Aber als er ihr abgehärmtes Gesicht sah, brachte er es doch nicht übers Herz. Wozu auch, fragte er sich – Vater war tot, daran konnte auch sein Geständnis nichts mehr ändern.
    Als er an diesem 20. August zum Treffpunkt der Waldarbeiter kam, die Axt über der Schulter und ein paar grobe Handschuhe am Gürtel, sah er Roland Basler auf sich zukommen. Er wusste sofort, dass es we gen Martin Kiefer war. Bubi hatte noch am Abend von Hans die Neu igkeiten erfahren.
    »Bubi, hast du einen Moment?«
    »Ich muss in den Wald«, sagte Bubi nach einem Nicken und wollte an Basler vorbei.
    »Ich muss auch gleich aufs Feld, aber wir sollten uns trotzdem kurz unterhalten. Gegen Martin soll am Freitag verhandelt werden.«
    »Ich weiß«, sagte Bubi. Er nahm die Axt von der Schulter und stell te sie neben sich ab. »Also, was willst du?«
    »Was ich will?« Basler lachte. »Du weißt genau, dass für uns die Ka cke am dampfen ist, wenn Kiefer auspackt. Klar, wir können so tun, als lüge er und vielleicht glaubt man uns auch, aber ein Makel bleibt bestimmt.«
    »Ein Makel«, wiederholte Bubi. Martin Kiefer hatte ihm fast zwei Monate das Blaue vom Himmel versprochen. Vielleicht hatte Kiefer ganz am Anfang sogar selbst an das geglaubt, was er Bubi versprochen hatte, aber irgendwann hatte sein Wahn, der Eva hieß, alles vernebelt. Bubi hatte mit Kiefer zusammen den alten Georg Sattler bewusstlos im Wald abgelegt und durch Kiefer hatte er schließlich seinen Vater verloren. Vielleicht, hatte Bubi schon Hunderte Male in den letzten Wochen gedacht, vielleicht gehört zu Schuld wirklich auch Sühne, vielleicht muss alles herauskommen, um frei zu sein.
    »Verstehst du nicht, Bubi, wenn Kiefer plaudert, sind wir erledigt. Dann kann ich meinen Job im Rat vergessen.«
    »Na und? Ein bisschen Arbeit schadet keinem, auch wenn man sich nicht zum normalen Fußvolk zählt, wie du es einmal ausgedrückt hast.«
    »Ach, hör auf, darum geht es doch jetzt gar nicht. Dir ist es vielleicht egal, aber ich habe etwas zu verlieren. Wo sollen Rike und ich hin, wenn Kiefer auspackt? Was wird aus meinem Haus, was aus meiner Kanzlei?«
    »Hätten wir uns das nicht vorher überlegen sollen?«, fragte Bubi.
    »Hätte, Wenn und Aber bringen uns jetzt auch nicht weiter. Wenn wir auf Nummer sicher gehen wollen, müssen wir etwas unternehmen, bevor alles zu spät ist.«
    »Und an was denkst du? Machs kurz, die anderen werden langsam ungeduldig.«
    »Bubi kommt gleich«, rief Basler den Wartenden zu und, zu Bubi:
    »Wir sollten noch vor Freitag zu Martin und, und …«
    »Und was?«
    »Und ihn zum Schweigen bringen«, sagte Basler endlich. »Halt. Lauf nicht gleich davon!« Er hielt Bubi am Arm fest. »Es ist unsere ein zige Chance, sauber aus der Sache rauszukommen.«
    »Ohne mich«, sagte Bubi. »Wenn Kiefer reden wollte, hätte er es längst machen können.«
    »Vielleicht wartet er nur auf ein großes Forum? Viele Gesichter, vor allem unsere Gesichter?«
    »Dann ist es eben so. Ich werde nichts unternehmen, ich lasse es darauf ankommen.«
    »Dann eben nicht.« Der Ärger über Bubis rigorose Ablehnung zeichnete eine tiefe, senkrechte Falte auf Baslers Stirn. Bubi beeilte sich, zu der kleinen Gruppe zu kommen, die noch im mer auf ihn wartete. Plötzlich blieb er stehen.
    »Moment noch«, rief er ihnen zu und ging zu Basler zurück.
    »Wenn Martin Kiefer etwas zustößt in seinem Verlies, weiß ich, wieso. Und ich werde es diesmal nicht für mich behalten. Du musst mich also gleich mit beseitigen, wenn du auf Nummer sicher gehen willst.«

107
    22. August, 19:00 Uhr, Wellendingen, Gasthaus Krone
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    Roland Basler brachte weder den Mut zu einem heimlichen Besuch bei Martin Kiefer auf noch befand sich Bubi in den Tagen zwischen ihrem letzten Gespräch und der heutigen Verhandlung in irgendeiner Gefahr. Roland Basler war ein Mann des Wortes, nicht der Tat. Die Versammlung im Gasthaus fand um sieben Uhr am Abend statt. Alle hatten sich beeilt und die Arbeiten im Stall und im eigenen Haus etwas zügiger als sonst erledigt. Viele hatten, bevor sie ins Gasthaus gingen, noch einmal Fausts Grab besucht und sich so zusätzlich für die bevorstehende Gerichtsverhandlung motiviert. Schließlich wa ren fast alle Einwohner Wellendingens an dem Ort versammelt, der für die Geschicke des Dorfes so wichtig war – der Gaststube. Es fehlten nur die wenigen Kranken und einige Kinder. Auch Eva blieb zu Hause. Trotz Hans’ Beteuerung, dass Kiefer ihr nichts mehr antun könne, zog

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