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Rattentanz

Titel: Rattentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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um nichts auf der Welt auf das göttliche Schauspiel einer Strangulation verzichten wollte, die der künftigen Leiche hoffentlich nicht das Genick brach, sondern ihn langsam, gaaanz langsam erwürge. Aber Thomas hatte gelernt, diese Stimme zu ignorieren. Bei den Kindern fühlte er sich geborgen und verstanden. Pfarrer Kühnes erster Impuls war, die Hinrichtung betend in der Kir che zu verbringen. Fräulein Guhl bat ihn zu kommen, erinnerte ihn daran, Martin Kiefer die Möglichkeit zur Reue und Beichte zu ge ben. Wenn Kühne das Urteil schon nicht verhindern konnte, so seine Haushälterin, sollte er Kiefer aber wenigstens den nötigen Beistand geben, auch wenn der ihn vielleicht nicht wollte.
    Uwe Sigg trug einen schwarzen Anzug über einem schwarzen Hemd. Er und seine Frau hatten lange überlegt und dabei den halben Kleiderschrank auf ihren Betten verteilt, ehe Sigg sich schließlich für diesen Anzug entschied. Der Anzug war viel zu warm und er schwitzte wie ein Siebzehnjähriger beim ersten Mal, ohne dass er auch nur eine anstrengende Bewegung unternommen hätte. Die Alternative, in seinen Alltagskleidern zu erscheinen, schien in seinen Augen der Bedeu tung seines Amtes nicht angemessen. Siggs Panik vor der übertragenen Aufgabe war, je länger er darüber nachdachte, zuerst einer Von-mir-aus-Stimmung gewichen, im Laufe des Vormittags dann in Stolz umgeschlagen. Er, Uwe Sigg, sollte der erste Henker Wellendingens sein, wenn das nichts war. Sogar Lisa gewöhnte sich schneller als gedacht an den Gedanken, an diesem Abend mit einem aktiven Henker ins Bett zu gehen. Es erregte sie sogar, dass ihr Mann dann, vor den Augen aller, einen anderen getötet hatte. Seinen Vorschlag, sich eine Maske oder Kapuze aufzusetzen, verwarf sie. Lisa wollte nicht, dass ihr Mann wie die billige Kopie eines mittelalterlichen Henkers aussah. Sie wollte seine Augen sehen, wenn er den Hebel betätigte, der die Falltür unter Kiefers Füßen öffnen und ihn in den verdienten Tod fallen lassen würde. Und so erschien Sigg unvermummt.
    Zwei Männer führten Martin Kiefer aus seinem Gefängnis über die Straße. Die Menschenmenge teilte sich vor ihnen. Eine Frau spuck te Kiefer ins Gesicht, eine andere verfluchte ihn. Kiefer schien den Speichel nicht zu bemerken, der ihm über die Wange lief und vom Kinn tropfte. Er wurde weitergestoßen und zum Fuß des Podestes geführt. Dort, an einer kleinen Leiter, wartete Pfarrer Kühne auf Martin Kiefer. Kühne hielt dem Verurteilten die Bibel entgegen. Kiefer beachtete sie nicht, er suchte Eva.
    »Bereust du deine Sünden, Martin Kiefer?«
    Kiefer schien den Pfarrer nicht zu verstehen, sah ihn nicht einmal an. Er suchte zwischen all den Gaffern und sensationslüsternen Mienen nach seiner Eva. Die Liebe zu ihr hatte ihn hierhergebracht. Dies war das Ziel der Reise. Aber wo war sein Preis, wo waren ihre Augen?
    »Ich frage dich noch einmal.« Die Bibel kam ein Stück näher. »Bereust du, was du getan hast?«
    Kiefer sah zum Podest hinauf, wo Eckard Assauer, Roland Basler und Uwe Sigg warteten. Von da oben, dachte er, müsste er einen viel besseren Überblick haben und Eva sehen, egal hinter wem sie sich auch versteckte. Er stieß den Pfarrer zur Seite, dem fiel die Bibel aus der Hand. Kiefer trat auf das Buch und stolperte die schmale Leiter hinauf auf das Podest. Mit gesenktem Kopf, wie ein sprungbereites Raubtier, stürzte er an den Rand des Gestells. Die Menge fuhr zurück, erwartete seinen Sprung. Und da, ganz hinten, zwischen Hans und Henning Malow, fand er sie. Sie versuchte, seinem Blick auszuweichen, aber der kurze Augenkontakt hatte gereicht, um Kiefer mit neu er Kraft zu erfüllen. Er spürte neue Kraft in sich aufsteigen und entsprechend seines Empfindens veränderte sich auch seine Körperhaltung. Alles straffte sich, er stand aufrecht am Rand des Podestes und lächelte in Evas Richtung. Er wusste in diesen letzten Minuten, dass sie ihn liebte, immer lieben würde, ob sie nun bei ihm war oder nicht. Das Leben war ein seltsames Theater; jemand zog den Vorhang zur Seite und man wurde in eine Aufführung geworfen und hatte von dem geheimen Drehbuch so viel Ahnung wie Dreck unter dem Fingernagel. Irgendwann kamen dann Regieanweisungen, die keiner verstand, es wurde die Beleuchtung abgestellt und man durfte morden und stehlen und auch selbst ermordet werden. Ein seltsames Spiel, wusste Kiefer, aber eben nur ein Spiel.
    Er freute sich, dass Eva hier war und sein Opfer sehen konnte, mit ihren

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