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Raue See

Raue See

Titel: Raue See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Westerhoff
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zu erinnern, dass er so etwas wie »um Gottes willen« gesagt hatte.
    Zielkow hatte also den Mann, den er brauchte. Er kannte ihn gut. Beide waren vor gut zwanzig Jahren, Anfang der Neunziger, nach Rostock gekommen, als junge, ehrgeizige und sehr erfolgreiche Ermittler. Was Bergmüller damals schon auszeichnete, war seine Fähigkeit, Täterprofile zu erstellen. Gerade in verzwickten Fällen halfen seine Einschätzungen, welcher Menschentyp das Verbrechen begangen haben könnte, oftmals den entscheidenden Schritt weiter.
    Üblicherweise arbeiteten die Kollegen, die auf diese Art der »operativen Fallanalyse«, wie das Profiling im Bürokratendeutsch genannt wurde, spezialisiert waren, bei den Landeskriminalämtern oder beim Bundeskriminalamt. So war 1992 das LKA in Kiel auf ihn aufmerksam geworden, und Bergmüller hatte das Bundesland gewechselt. Das war ihm vor allem deswegen leichtgefallen, weil er ursprünglich aus Schleswig-Holstein stammte.
    Bergmüllers Weg kannte seitdem nur eine Richtung: nach oben. Letztlich war es egal, wo ein Täterprofil benötigt wurde. Wenn man konnte, zog man ihn zurate – insbesondere im Bereich der Tötungsdelikte.
    Zielkow war in Rostock geblieben und schließlich Leiter der Kriminalpolizei geworden. Nach Jahren sahen sich die Kollegen nun in der Blücherstraße wieder.
    »Mensch, Reinhard«, begrüßte Zielkow seinen Kollegen überschwänglich und klopfte ihm auf die Schulter. »Gut siehst du aus!« Das war nicht nur eine Höflichkeitsfloskel. Reinhard Bergmüller war wie Eberhard Zielkow Mitte fünfzig. Er war sogar ein Jahr älter. Während sich Zielkow aber durch Kurzatmigkeit, Blässe und leichtes Übergewicht auszeichnete, wirkte Bergmüller trainiert, braun gebrannt und drahtig.
    »Eberhard, ich grüße dich«, lachte ihn Reinhard Bergmüller an. »Echt, ich freu mich wirklich, mal wieder hier zu sein.«
    »Wann warst du denn das letzte Mal in unserer schönen Hansestadt?«
    »Hmm …« Bergmüller überlegte. »Anfang ’93 bin ich nach Kiel. Da war ich wegen meines Segelbootes etwa zwei Jahre lang noch oft am Wochenende und im Urlaub hier. Später hab ich dann den Liegeplatz in der Eckernförder Bucht gekriegt, da hörte das auf. Bis mein Vater vor elf Jahren in einer Seniorenresidenz hier in der Nähe seinen Altersruhesitz bezogen hat. Hin und wieder besuche ich ihn.«
    »Warum hier und nicht in Kiel?«, fragte Zielkow.
    »Wegen der Kosten. Die Plätze hier sind bei vergleichbarer Leistung einige hundert Euro billiger als in Kiel. Sparsam war mein alter Herr schon immer.«
    »Und du bist nie mal bei uns vorbeigekommen?«
    »Ach du weißt doch, wie das ist.«
    Tatsächlich wusste Zielkow nur zu genau, dass der freundschaftliche Kontakt unter Kollegen nach einer Versetzung meist schnell einschlief. »Und privat?«, fragte er.
    »Ich habe nie geheiratet. Ist auch besser so.«
    »Wie meinst du das?«
    Bergmüller seufzte. »Der Dienst steht einer wirklichen Beziehung doch im Wege. Deshalb ist die Scheidungsrate bei uns auch so hoch. Du kennst das ja. Bei mir ist es besonders schlimm, weil ich ja praktisch überall in Deutschland arbeite. Das wollte ich mir einfach nicht antun. Aber bei dir hängt der Haussegen noch gerade, wie man hört, oder nicht?«
    »Doch, doch. Ich hab mich hier in Rostock gut eingelebt und bin«, Zielkow deutete mit selbstkritischer Geste auf seinen Bauchansatz, »etwas bequem geworden.«
    Bergmüller lachte amüsiert, wurde aber gleich wieder ernst. »Du hast mich kommen lassen«, sagte er. »Worum geht es genau?«
    Zielkow nickte, griff zu der noch dünnen Akte und reichte sie ihm. »Vor genau zwei Wochen, am 13.   Juni, erhielten wir einen Umschlag, adressiert an die Kollegin Menn. Die befindet sich allerdings gerade im Erziehungsurlaub. Wir öffneten das Schreiben und fanden diesen Zettel nebst DVD .«
    »Kollegin Menn? Wer ist das?«
    »Du kennst sie. Wiebke Sollich. Sie ist inzwischen mit einem Oberstaatsanwalt verheiratet.«
    »Ah, Wiebke Sollich, natürlich. Und der Oberstaatsanwalt, den sie geheiratet hat, heißt Menn?«
    »Ich kann mich nicht erinnern, dass du beruflich schon mal mit ihm zu tun hattest, aber er kam ungefähr zur gleichen Zeit wie wir aus dem Westen hierher.«
    »Stimmt. Aus Köln, glaube ich mich zu erinnern.«
    »Genau.«
    »Hat sich Wiebke Sollich also nach oben geschlafen, was?« Bergmüller grinste breit.
    »Na hör mal!«, rügte ihn Zielkow. »Außerdem: Hast du nicht gehört, was ihr vor zwei Jahren passiert

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