Raue See
unangenehm fand. Nach einigem Herumgedruckse schafften Wiebke und er es aber dennoch, sich zu begrüßen.
Nachdem Zielkow ihm die Hand gereicht hatte, platzte es aus Günter heraus: »Sie sind mir eine Erklärung schuldig. Ich habe in meinen fast zwanzig Dienstjahren noch nie einen Termin platzen lassen. Und nun war es gleich einer mit acht geladenen Zeugen. Der Richter kochte vor Wut, als ich ihn anrief und nicht einmal einen richtigen Grund nennen konnte. Ganz ehrlich gesagt steht es mit meiner eigenen Stimmung auch nicht gerade zum Besten!«
»Sie werden gleich verstehen«, sagte Zielkow. »Können Sie, Herr Sollich, das Kind derweil in einen anderen Raum bringen und auf ihn achtgeben?«
»Ich bringe ihn gern in einen anderen Raum, aber ich will wissen, was hier vor sich geht. Das ist immerhin mein Haus«, erwiderte Randolph und erhielt von Zielkow nach kurzem Zögern ein zustimmendes Nicken als Antwort.
Wiebke dachte zwar, dass der Kleine doch ohnehin schlief und auch noch nicht Fernsehen schaute, aber Zielkow hatte sicher recht damit, die unvermeidliche Präsentation der Videos so weit wie möglich von ihm fernzuhalten.
»Ich muss Sie beide bitten, ach, was heißt bitten: auffordern, über alles, was Sie hier hören und sehen, strengstes Stillschweigen zu bewahren«, begann Zielkow, nachdem Randolph Jonas in sein Schlafzimmer gebracht hatte. »Das gilt in vollem Umfang auch für Sie als Privatperson, Herr Sollich.«
»Keine Sorge«, meinte Randolph. »Mit Stillschweigen kenne ich mich bestens aus.«
Zielkow schaute fragend, sagte aber nichts, sondern präsentierte den beiden die Gedichte. Wiebke schmunzelte. Woher sollte Zielkow auch wissen, dass ihr Onkel ein Agent im Ruhestand war? Zu DDR -Zeiten war er Industriespion gewesen. In der Tarnung eines Kombinatsleiters, der Konsumprodukte in die BRD verkaufte. Seine vielen Westreisen hatten somit stets einen nachvollziehbaren Hintergrund gehabt. Randolphs eigentliche Aufgabe war aber das Beschaffen von geheimen Plänen der westdeutschen Industrie gewesen.
Dann stand Zielkow wortlos auf und startete auf Randolphs Fernseher die beiden Filme. Wiebke musste zum zweiten Mal an diesem Tag die bestialischen Bilder ertragen. Mit einigem Erschrecken stellte sie fest, dass sie jetzt nicht mehr in dem Maße schockiert, ja fast paralysiert war wie noch vor ein paar Stunden. Wahrscheinlich stumpft man ab, dachte sie beschämt.
Günter und Randolph hingegen saßen bleich im Sessel und starrten auf den Bildschirm.
»Die Filme sind echt? Keine Horrorfilme oder so was?«, fragte Günter.
Zielkow schüttelte den Kopf. »Ist geprüft. Die Morde sind echt.«
»Der Typ muss ein Technikfreak sein oder einen solchen kennen«, meinte Randolph nachdenklich.
»Warum?«, fragte Zielkow.
»Nun. Er hat den Film technisch nachbearbeitet. Die handelnde Person ist bis zur Unkenntlichkeit verpixelt, alles andere zum Kotzen eindeutig. Dazu muss man erstens die Software haben und sie zweitens auch bedienen können.«
Zielkow blickte ihn erstaunt an. »Sie kennen sich aus«, sagte er. »Sind Sie vom Fach?«
Randolph schüttelte den Kopf. »Nein, nein. Ich habe als Rentner nur ziemlich viel Zeit. Und um im Oberstübchen nicht einzurosten, beschäftige ich mich eben mit diesem und jenem.«
»Wie dem auch sei.« Zielkow wurde nun auf einmal sehr förmlich. »Herr Oberstaatsanwalt, Sie sehen, dass Ihre Frau im Dienst gebraucht wird. Bis zur Klärung des Falles sind Sie daher von Ihren Aufgaben freigestellt. Wie ich schon am Telefon sagte, ist das mit dem Innenminister abgestimmt. Sie haben gewissermaßen von höchster Stelle die Weisung, sich unter Beibehaltung Ihrer Bezüge um Ihren Sohn zu kümmern. Wie es scheint, haben Sie in Herrn Sollich dabei eine tatkräftige Unterstützung.«
»Die ja bekanntlich auch Zeit hat«, sagte Randolph süffisant. Aber Wiebke wusste, tief in seinem Inneren hasste er es, nichts mehr zu tun zu haben und zum alten Eisen zu zählen.
»Ja, also … ich, äh …«, stammelte Günter. Dann fasste er sich. »Ich habe wohl keine Wahl, oder?«
»Nein«, kam es trocken von Zielkow.
Wiebke kramte einige Bücher aus ihrer Tasche, die sie beim Aufbruch vorhin eiligst zusammengekramt hatte. Sämtliche Coverbilder zeigten glücklich lachende, süße kleine Babys.
»Hier habt ihr was zum Lesen«, sagte sie. »Es ist nicht ganz dasselbe, aber stellt es euch einfach wie eine Bedienungsanleitung für ein Gerät vor.«
»Ich, das heißt: wir«, sagte Günter mit
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