Raue See
suspendierten, obwohl …«
»Ja«, bellte Zielkow zurück. »Als er im Verdacht stand, einen Menschen umgebracht zu haben, war er als Leiter der Mordkommission nicht mehr tragbar. Ich glaube aber, mich zu erinnern, dass Sie es waren, werte Frau Kollegin, die Herrn Franke aufgrund der Ihnen untergeschobenen Indizien verhaftet hat. Also kommen Sie mir jetzt nicht damit.«
»Schon gut«, schnaufte Wiebke. Die Sache damals war wirklich keine Meisterleistung gewesen, das musste sie einräumen. »Und welchen Superbullen haben Sie als Leiter der Sonderkommission auserkoren?«
»Der Name wird nicht gerade wie Musik in Ihren Ohren klingen. Es ist Reinhard Bergmüller«, sagte Zielkow.
Wiebke war enttäuscht. Weniger wegen Bergmüller. Sie kannte ihn von früher, hatte nach der Wende eine Zeit lang unter ihm Dienst geschoben, bis Bergmüller zurück nach Kiel gegangen war und dort als Profiler Karriere gemacht hatte. Er hatte sich ihr, der gebürtigen Ostdeutschen, gegenüber damals ein bisschen überheblich verhalten, wie die meisten Wessis, die Anfang der Neunziger nach Rostock gekommen waren. Aber das war es nicht. Sie störte sich daran, dass sie ihn jetzt einfach so vor die Nase gesetzt bekam. Sicher, Bergmüller war ein guter Polizist. In ihrer gemeinsamen Zeit hat er bis auf einen Fall alle gelöst. Dass er bisweilen selbstherrlich, arrogant und herablassend war – auch damit würde sie klarkommen. Aber musste er denn jetzt wirklich noch einmal ihr Chef werden?
»Chef, das mache ich nicht«, sagte sie.
»Frau Menn, ich bitte Sie«, meinte Zielkow, während sie vor dem Kriminalkommissariat anhielten. »Ich kann Sie ja verstehen, aber …« Zielkow wurde sofort unterbrochen.
»Gar nichts verstehen Sie«, sagte Wiebke mit Tränen in den Augen.
Zielkow sah sie nachdenklich an. »Verzeihen Sie die direkte Frage, Frau Kollegin, aber hatten Sie beide mal was miteinander, was dann auseinandergegangen ist?«
Wiebke wollte erst etwas Empörtes wie »Unverschämtheit« oder so sagen, erkannte dann aber, dass Zielkow das angesichts ihrer Emotionalität wohl fragen musste. Sie schüttelte den Kopf und sagte: »Nein, jedenfalls nicht richtig.«
»Wie darf ich das verstehen?«
»Ich mochte den Bergmüller von Anfang an nicht besonders. Er ist mir schlicht auf den Geist gegangen. Aber er hat mich ein paarmal zum Essen ausgeführt.«
»Warum sind Sie mitgegangen, wenn Sie ihn eigentlich gar nicht mochten?«
»Eitelkeit, Angst, die Karriere zu beschädigen. Etwas in die Richtung.«
»Und da ist er Ihnen zu nahe getreten.«
»Nein, ganz im Gegenteil. Ich habe ihm eines Abends, es war nach einer Besprechung, in der er für meinen damaligen Geschmack mal wieder zu sehr den Chef und Wessi raushängen ließ, eröffnet, dass ich niemals was mit einem Wessi anfangen würde.«
»Woran Sie sich ja auch gehalten haben«, sagte Zielkow ironisch.
Sie gab ihm recht. Ihre erste Ehe, die so spektakulär scheiterte, war mit einem Wessi gewesen. Und Günter war Anfang der Neunziger aus Köln nach Rostock gekommen. Vielleicht war ihre Einstellung doch richtig gewesen und ihre Wahl falsch.
»Danach war er jedenfalls beleidigt, und ich hab die volle Breitseite abbekommen.«
»Oder Sie haben es nur so empfunden. Ich kannte Reinhard Bergmüller damals ja auch. Wir haben praktisch gleichzeitig hier in Rostock angefangen. Ich kam aus Kassel, er aus Kiel. Er ist ein Superbulle, wie Sie schon sagten. Menschenführung war nicht gerade seine Stärke, zugegeben. Aber das ist doch nun bald zwanzig Jahre her, und vielleicht hat er sich verändert.«
»Und wenn nicht?«, fragte Wiebke.
»Dann müssen Sie das professionell behandeln, Frau Kollegin. Immerhin geht es um …«
»Ja, ich weiß.« Wiebke nickte schließlich zustimmend. »Aber eine Zumutung ist das schon, was Sie da von mir verlangen.«
»Danke, Frau Kollegin. Ich danke Ihnen«, sagte Zielkow, und Wiebke hatte den Eindruck, dass er es auch so meinte. »Können wir dann?«
»Natürlich.«
Sie stiegen aus und gingen in das Gebäude, wo in einem der Besprechungszimmer bereits die von Bergmüller eiligst gebildete Sonderkommission »Max und Moritz« auf ihr letztes, aber entscheidendes Mitglied wartete, und Wiebke nahm sich vor, mit Reinhard Bergmüller bei der ersten Gelegenheit ein klärendes Gespräch unter vier Augen zu führen. Vielleicht würde dann alles halb so schlimm werden.
Mit einem mulmigen Gefühl betrat sie den Konferenzraum. Das Gemurmel verstummte
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