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Raue See

Raue See

Titel: Raue See
Autoren: Ralph Westerhoff
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ausgeschaltet worden, und der Teilnehmer hatte sich seitdem nicht wieder ins Netz eingeloggt. Ihre Kredit- und EC -Karten waren seit ihrem Verschwinden ebenfalls nicht mehr genutzt worden.
    Wie er’s auch drehte und wendete: Sie konnten nicht mehr tun. Er telefonierte – sicher war sicher – noch einmal mit dem Staatsanwalt. Nach Schilderung der Sachlage stimmte dieser seiner Einschätzung zu. Max-Xaver Mayr verfasste daher einen abschließenden Aktenvermerk und stellte die aktive Ermittlung ein. Vielleicht tauchte sie ja wie dieser Anwalt in einem Jahr einfach wieder auf.

SECHS
    Es war kurz nach acht, als es an der Tür schellte. Das Radio in der Küche dudelte. Die Nachrichten waren gerade vorbei, und auf »Ostseewelle Hit-Radio« lief die Sendung »Der Gute Morgen«. Das Moderatorenpaar Uwe Worlitzer und Andrea Sparmann hatte die undankbare Aufgabe, gute Laune zu einer Tageszeit zu verbreiten, die wohl nur gewohnheitsmäßige Frühaufsteher zu schätzen wussten. Wiebke hingegen war damit beschäftigt, Jonas zu wickeln. Sie erwartete niemanden und ließ sich deshalb Zeit. Doch der unangekündigte Besucher hatte offensichtlich wenig Geduld. Immer schneller hintereinander ertönte das »Ding-dong-dong« der Türglocke, diese typische Melodie, die man praktisch in allen modernen Neubauten findet.
    Als sie und Günter zusammengefunden hatten, war Wiebke erst einmal zu ihm gezogen. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie keine eigene Wohnung mehr gehabt. Sie wohnte in der ihres damaligen Ehemannes. Die Ehe war aber spektakulär gescheitert, sodass sie damals vor der Wahl stand, eine eigene Wohnung zu nehmen oder zu ihrer großen Liebe zu ziehen. Sie hatte sich für Letzteres entschieden.
    Als sich überraschend Jonas angekündigt hatte – wer wird denn mit zweiundvierzig schwanger?, fragte sie sich oft –, war es in Günters gemütlicher, aber nur zwei Zimmer umfassenden Singlewohnung endgültig zu klein für sie geworden.
    Sie hatten Nägel mit Köpfen gemacht und ein neues, kleines Reiheneinfamilienhaus im Stadtteil Gehlsdorf gekauft. Die Gegend war schön, die Warnow nicht weit, und zu ihren Dienststellen waren es auch nur zehn Autominuten. Vielleicht war der Kauf aber doch ein Fehler gewesen, dachte sie, während sie über das Laminat im Erdgeschoss zur Tür ging. Vielleicht war die Umgebung Günter ja zu spießig? Vielleicht war ihm die bürgerliche Umgebung zu viel geworden? Er hatte nie so gelebt. Ehe, Kind und Haus hatten auch sein Leben völlig verändert – und das mit über fünfzig. Vielleicht hatte sie ihn mit ihrer Vorstellung vom »kleinen Glück« vertrieben? Vielleicht war er aber auch nur ein Arsch.
    Als sie die Tür öffnete, war sie sichtlich überrascht, Zielkow vor sich zu haben.
    »Chef, was machen Sie denn hier?«, fragte sie zur Begrüßung. Sie war so baff, dass sie sogar vergaß, ihn hereinzubitten. Sie kannte Eberhard Zielkow seit vielen Jahren und mochte ihn so gern, wie man Vorgesetzte eben mag. Mal war er ganz umgänglich, mal ein sturköpfiger alter Esel, dem man nichts recht machen konnte. Aber alles in allem war sie zufrieden mit ihm als Chef. Privat hatte sie mit ihm allerdings noch nie etwas zu tun gehabt. Sie wunderte sich, dass er überhaupt ihre neue Adresse kannte. Nun, die war andererseits auch kein Geheimnis.
    »Schönen guten Tag, Frau Menn.« Zielkow lächelte freundlich und hielt ihr die ausgestreckte Hand hin. Sie nahm sie, und sie schüttelten sich die Hände. »Darf ich reinkommen?«, fragte er, nachdem Wiebke keinerlei Anstalten machte, ihn hereinzubitten.
    »Aber natürlich!«, sagte Wiebke schnell und lief rot an. »Entschuldigung.«
    Sie öffnete die Haustür ganz, Zielkow trat ein und stand im Windfang. Es war ein heißer Sommertag. Er trug keine Jacke oder ein Jackett. Das fliederfarbene Hemd zierte keine Krawatte. So leger hatte sie ihn bisher selten gesehen.
    »Gerade durch ins Wohnzimmer, Chef«, sagte Wiebke, die sich inzwischen von ihrer Überraschung erholt hatte. »Darf ich Ihnen einen Kaffee oder ein Wasser anbieten?«
    »Gerne beides«, antwortete Zielkow.
    »Moment bitte.« Wiebke eilte in die Küche und schaltete die Kaffeemaschine ein, die laut zu mahlen begann.
    Minka, Wiebkes weiße Siamkatze, war durch den Lärm wach geworden. Neugierig schaute sie um die Ecke ins Wohnzimmer, erblickte den Besucher und strich um dessen Beine. Zielkow streichelte das Tier, bis Wiebke mit einem Tablett erschien. Sie stellte die Tassen, Gläser und das silberne
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