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Raue See

Raue See

Titel: Raue See
Autoren: Ralph Westerhoff
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hier. Wo sind Sie gerade? – Nein, da fahren Sie nicht hin. – Wer das sagt? Ich sage das, und zwar mit höchster Rückendeckung. Schönen Gruß vom Minister. – Nein, ich scherze nicht. Sagen Sie, wo wohnen Sie jetzt? – Ja, das geht mich was an! – Okay, das kenne ich. Sie fahren jetzt dorthin. Das ist eine dienstliche Anweisung des Innenministers. – Nein, das ist wirklich kein verspäteter Aprilscherz. Alles Weitere dort. Auf Wiederhören.«
    Als er das Gespräch beendet hatte, sah Wiebke, dass er grinste. Wie alle Polizisten hasste mit Sicherheit auch er die Tatsache, dass sie nach der Strafprozessordnung Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft waren, deren Weisungen sie zu befolgen hatten. Heute war es einmal anders. Das gönnte sie ihm richtig.
    »Was hat er gesagt?«, fragte sie.
    »Er war auf dem Weg zu einem Termin, fährt jetzt aber zu seiner neuen Wohnung. Er lebt in Hinrichshagen in einer Schrebergartenkolonie. Haben Sie etwa einen Schrebergarten?«
    Wiebke lächelte. Auf Randolph war eben Verlass. Sie war zwar wütend auf ihn. Aber dass Günter unter einer Brücke schlafen musste, wollte sie – Arsch hin, Arsch her – nun auch nicht unbedingt. »Wir nicht. Aber mein Onkel lebt dort. Er hat ihn wohl aufgenommen. Mal sehen, wie die beiden gleich reagieren.« Sie konnte ihre diebische Freude kaum unterdrücken. Jetzt war Günter doch noch im Erziehungsurlaub. Auch wenn der Anlass ein dramatischer war, war das schon ein Treppenwitz.
    »Dann mal los«, sagte Zielkow. Er stand auf und ging in Richtung Haustür.
    »Meinen Sie nicht, Sie haben da was vergessen?«, fragte Wiebke grinsend.
    »Ach ja, den Kleinen. Verzeihung.«
    Wiebke suchte die notwendigen Dinge für die Betreuung von Jonas zusammen und packte alles in mehrere große Reisetaschen.
    »Wenn man mit einem Baby unterwegs ist, sieht es immer ein bisschen so aus wie beim Auszug aus Ägypten«, kommentierte sie einen ungeduldigen Blick ihres Chefs. »Aber ich hab’s gleich.« Sie nahm den noch schlafenden Jonas aus der Wiege und legte ihn in den Maxi-Cosi. »Ich schlage vor, dass Sie die Wiege und den Kinderwagen in Ihrem Wagen transportieren. Ich kriege in mein Auto nur den Kleinen, die Katze und die Taschen.«
    Er stimmte zu, half beim Einladen und schien heilfroh, endlich loszukönnen. Obwohl er sich auf das Gespräch mit dem Oberstaatsanwalt, den er quasi vorübergehend zwangspensionieren würde, sicher nicht so sehr freute wie Wiebke.
    Sie hatte ja keine Ahnung, dass ihm das seiner Meinung nach Schlimmste noch bevorstand: der Umstand nämlich, Wiebke offenbaren zu müssen, dass sie unter Reinhard Bergmüller arbeiten würde.
    * * *
    Wiebke war froh, dass Günter schon da war, als sie schließlich vor dem Gelände, auf dem sich die Datsche ihres Onkels befand, ihren Wagen abstellte. Sie hatte keine Lust, Randolph über ihre Trennung Rede und Antwort zu stehen, zumal er die unangenehme Eigenschaft hatte, immer ihre wunden Punkte zu treffen.
    Sie löste den Maxi-Cosi aus dem Sicherheitsgurt und klappte den Tragegriff hoch. Jonas schlief friedlich. Zielkow wartete neben Wiebkes Wagen, sah in das friedliche Gesicht des Kleinen und fragte mit einem seltsamen Glanz in den Augen: »Darf ich?«
    Sie verstand erst nicht, was er wollte. Dann begriff sie, und mit einem strahlenden Lächeln übergab sie ihm Jonas. Sie gingen gemeinsam zur Gartentür und schellten. Auf einmal pochte ihr das Herz bis zum Hals. Mein Gott, dachte sie. Du bist fast vierundvierzig und hast nicht das erste Mal Schluss mit einem Freund gemacht. Aber mit Günter war es etwas anderes. Erstens war er immerhin ihr Mann, zweitens hatten sie ein gemeinsames Kind, und drittens … ja, drittens hatte sie immer noch Gefühle für ihn.
    Randolph öffnete die Tür zu seinem Wohnhaus, kam lächelnd auf die Gartentür zu und begrüßte sie.
    »Hallo, Wiebke«, sagte er und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Dann senkte sich sein Blick in den Maxi-Cosi, und er flüsterte, als wenn er ihn nicht wecken wollte: »Hallo, Jonas.« Schließlich streckte er die Hand in Richtung Zielkow aus. Dieser wechselte erst einmal die Tragehand, damit er die Rechte für den Gruß freibekam, und schüttelte Randolph die Hand.
    »Mein Name ist Eberhard Zielkow. Ich bin der Chef der Abteilung, in der Ihre Nichte arbeitet.«
    »Angenehm«, sagte Randolph. »Ich bin Randolph Sollich und arbeite nicht mehr.«
    Sie gingen ins Haus. Günter stand irgendwie verloren im Wohnzimmer. Man sah ihm an, dass er die Situation
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