Raue See
augenblicklich.
»Hallo zusammen. Ja, äh, da bin ich wieder«, stammelte Wiebke. »Früher als gedacht.« Was für ein blöder Satz, dachte sie und schämte sich, dass ihr nichts Besseres eingefallen war.
»Hallo, Wiebke«, sagte Bergmüller freundlich und ging auf sie zu. Er schüttelte ihr die Hand und lächelte. Sie sah ihn an und stellte fest, dass er sich bis auf das ergraute Haar und ein paar Falten kaum verändert hatte.
Dann wurde Bergmüller offiziell. »Kollegen«, sagte er, »ich begrüße Sie alle in der Sonderkommission ›Max und Moritz‹ und möchte Ihnen, da wir Sie zum Teil aus dem Urlaub geholt haben, für Ihre Flexibilität danken. Besonders natürlich der Kollegin Menn. Sie hat extra für den Dienst ihren Erziehungsurlaub unterbrochen. Im Übrigen: Wundern Sie sich bitte nicht, dass Kollegin Menn und ich uns duzen. Wie einige von Ihnen wissen, habe ich vor vielen Jahren hier in Rostock Dienst geschoben. Frau Menn war damals meine Partnerin, und ich würde es kindisch finden, wenn ich sie jetzt siezte.«
Er hat Partnerin gesagt, dachte Wiebke. Hat er tatsächlich Partnerin gesagt? Sie konnte es kaum glauben. Sie sah Zielkow an, der kaum merklich den Daumen hob. Seine Gesichtszüge wirkten entspannt.
»Kommen wir zur Sache«, fuhr Bergmüller fort. »Die Lage ist ernst. Die meisten von Ihnen haben schon Zeit gehabt, die Akten zu studieren. Damit wir aber alle auf dem gleichen Stand sind, fasse ich die grundlegenden Informationen für Sie zusammen: Am 13. Juni, dem Mittwoch vorletzter Woche, wurde ein anonymes Schreiben, adressiert an die Kollegin Menn, im Präsidium abgegeben. Dieses Schreiben enthielt folgendes Gedicht.« Bergmüller aktivierte den Beamer, der das Schreiben für alle sichtbar an die Wand warf. »Ferner war eine DVD enthalten, die zu sehen ich Ihnen leider nicht ersparen kann.«
Mit der Fernbedienung schaltete er auf eine andere Quelle um, und die Bilder der Mordszene flimmerten auf, für die meisten zum ersten Mal. Es herrschte eine nahezu gespenstische Stille in dem Raum.
»Um jeder Spekulation schon im Vorfeld den Wind aus den Segeln zu nehmen: Das Video ist echt. Das Opfer wurde wirklich getötet. Wie Sie zudem sehen konnten, muss die Tat irgendwann zwischen Samstag, dem 9. Juni, und dem Tag der Zusendung begangen worden sein, vermutlich aber am Samstag selbst. Der Täter hält die Ausgabe der »Norddeutschen Neuesten Nachrichten« von ebenjenem Samstag in die Kamera.«
Zielkow meldete sich zu Wort und sagte: »Liebe Kollegen. Ich denke, Sie sehen, wie wichtig die Sache ist. Auch ich hatte zunächst gehofft, dass es sich um einen bösen Scherz handeln könnte. Aber dass dem nicht so ist, hat spätestens der, wie es unser Täter nennt, ›zweite Streich‹ bewiesen. Wir müssen von dem Beginn einer Serie ausgehen und versuchen, weitere Morde zu verhindern. Ich wünsche Ihnen dazu allen erdenklichen Erfolg. Ich werde mich jetzt ausklinken. Natürlich stehe ich aber bei Fragen und Wünschen jederzeit zur Verfügung. Der Fall hat oberste Priorität.« Er stand auf, schüttelte Bergmüller die Hand, hob sie unter der Tür noch einmal grüßend in Richtung aller Anwesenden und verschwand.
Bergmüller griff das Stichwort auf und erläuterte die näheren Umstände des »zweiten Streichs«, indem er den Kollegen auch dieses Gedicht und die entsprechende DVD zeigte.
»Wie Kollege Zielkow schon sehr richtig sagte, müssen wir vom Beginn einer Serie ausgehen. Deshalb ist es besonders wichtig, dass wir alle schnell, effektiv und unbürokratisch handeln. Ich habe diese Soko mit Hilfe des Kollegen Carsten Franck zusammengestellt, da ich schon lange, es sind fast zwanzig Jahre, nicht mehr in dieser Dienststelle tätig war. Aus demselben Grund möchte ich Sie nunmehr bitten, sich der Reihe nach kurz vorzustellen und darzulegen, warum und wie Sie glauben, in dieser Soko effektiv mitarbeiten zu können.«
Wiebke seufzte leise in sich hinein. Natürlich konnte sie verstehen, dass Bergmüller sich ein Bild über die Fähigkeiten jedes Einzelnen machen wollte. Doch bei den insgesamt siebzehn Personen, die die Soko, wie sie inzwischen gezählt hatte, umfasste, würde es Stunden dauern, bis sie damit fertig waren. Und schon jetzt schmerzten ihre Brüste. So schnell, wie der Frauenarzt gesagt hatte, schien das Medikament also doch nicht zu wirken. Hunger hatte sie auch.
Nach einiger Zeit winkte Bergmüller Franck zu sich heran und raunte ihm etwas zu. Franck verschwand und kam eine
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