Raue See
Sache offenbar sehr sicher und glaubt, dass wir ihn keinesfalls kriegen.«
Bergmüller hatte ruhig zugehört. Er nickte und sagte: »Ein Serientäter, der sich an die Polizei wendet, will mit ihr spielen. Es gibt unter Psychologen sogar die These, dass er eigentlich gefasst werden möchte, es aber nicht mit seinem Selbstbild vereinbaren kann, sich zu stellen. Also fängt er ein Spiel an, bei dem wir am Anfang leider immer dumm aussehen. Er gibt die Taktzahl vor, und wir hecheln hinterher. Dass wir uns jetzt gerade wie die Gejagten fühlen, hat einen ganz einfachen Grund. Wissen Sie, welchen?«
Allgemeines Kopfschütteln war die Antwort.
»Weil wir es nun mal sind. Es muss unser aller Ziel sein, das zu ändern.«
Endlich kam das ersehnte Gerät. Die Kontrolle ergab nichts Besorgniserregendes. Also öffnete Carsten Franck auf Bergmüllers Anweisung mit frischen Handschuhen vorsichtig das Paket. Es enthielt – wie die Schreiben zuvor – einen Zettel und eine DVD .
»Lesen Sie vor, was auf dem Zettel steht.«
Carsten Franck hielt das Papier zwischen zwei Fingern und las mit zitternder Stimme.
»Als die gute Witwe Wiebke
Dachte, dass sie uns schon kriegte,
Wurde ihr mit Schrecken klar,
Dass sie gar nicht Witwe war.
Doch Max und Moritz hier erklären,
Was schon immer galt auf Erden:
Was nicht ist, das kann noch werden.
Heute lautet der Beschluss,
Dass Wiebke Mörder fangen muss.
Siebzehn seid ihr, uns zu jagen,
Zwei sind wir, da ist zu sagen,
Dass zu blöd für diese Plage
Wiebke ist ganz ohne Frage.
Eingesperrt in dem Verlies
Ist die Nächste ohnedies.
Bibbernd wartet sie dort schon
Auf ihre bald’ge Exekution.
Dieses war der dritte Streich,
Doch der vierte folgt sogleich.
Wie ihr sicher auch schon wisst,
Dies in vierzehn Tagen ist.«
Er hatte kaum geendet, da verließ Wiebke den Saal. Sie hielt es nicht mehr aus. Die Bedrohung aus ihrem letzten Fall war mit einem Mal wieder erschreckend gegenwärtig. Schon wieder war einer hinter ihr und – schlimmer noch – hinter ihrer Familie her. Sie rannte davon. Bergmüller und Zielkow folgten ihr umgehend. Die anderen wagten kaum, ein Wort zu sagen.
Sie war einfach nur gelaufen. Die Treppe hinunter, aus der Tür heraus und dann die Rosa-Luxemburg-Straße hoch in Richtung Bahnhof. Sie wollte nicht zum Bahnhof, sie wollte nur rennen, rennen, rennen. Weg. Einfach nur weg.
Am Wilhelm-Külz-Platz schaffte Bergmüller es, sie einzuholen. Er hielt sie auf, legte beide Hände auf ihre Schultern und schüttelte sie leicht. »Beruhige dich«, sagte er sanft. »Du musst dich beruhigen.«
»Ich will mich aber nicht beruhigen«, schluchzte sie. »Das ist zu viel für mich. Ich kann nicht mehr.«
»Es wird alles gut«, sagte Bergmüller und wiederholte den Satz wie ein Mantra. »Es wird alles gut. Es wird alles gut.«
Keuchend stieß nun auch Zielkow zu ihnen. Bergmüller war einfach besser in Form. »Frau Kollegin«, begann er.
»Ach, halten Sie den Mund«, sagte Wiebke. »Wegen Ihnen sitze ich doch in der Scheiße. Wegen Ihnen wird vielleicht mein Mann umgebracht.«
Zielkow wollte widersprechen, aber Bergmüller bedeutete ihm zu schweigen.
»Und weißt du, was das eigentlich Schlimme ist?«, fragte Wiebke ihn kraftlos.
»Nein«, sagte Bergmüller. »Bei der Menge an schlimmen Sachen habe ich ein wenig die Übersicht verloren.«
»Wir haben einen Maulwurf. Jemanden, der die Bestie kennt und ihr unsere Geheimnisse flüstert.«
»Geht das nicht ein bisschen weit? Wie kommst du darauf?«
»Woher weiß der Täter zum Beispiel, dass wir siebzehn Leute in der Soko sind? Nicht zehn, nicht zwanzig oder vierzehn. Nein, er kennt die exakte Zahl. Das kann er nur von einem von uns haben.«
»Ich fürchte, da überinterpretierst du was. Überleg mal. Dass es die Soko gibt, weiß, auch wenn wir offiziell Nachrichtensperre haben, mit Sicherheit das ganze Präsidium. Folglich kann diese Information auch unbeabsichtigt preisgegeben worden sein.«
»Möglich«, sagte Wiebke. »Was ist mit der Drohung gegen Günter? Was ist mit Jonas?«
»Er wollte das erreichen, was auch passiert ist. Entschuldigung, wenn ich das so deutlich sage: Er will, dass du durchdrehst. Dass du deinen Job nicht mehr anständig machst, weil du vor etwas Angst hast. Ich habe Erfahrung mit Serientätern. Die verfolgen ihr Ziel. Stur und ohne jedes Abweichen. Ich glaube, es droht den beiden keine wirkliche Gefahr.«
»Selbst wenn. Drohungen sind nicht auf die leichte Schulter zu nehmen«,
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