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Raue See

Raue See

Titel: Raue See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Westerhoff
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Doch nachdem sie mit ihr im Bett gewesen war, schien das zwischen ihnen nicht mehr dasselbe zu sein. Der Spruch, dass man, wenn Sex im Spiel war, nicht mehr unbefangen befreundet sein konnte, stimmte wohl. Egal, ob das nun ein Mann oder eine Frau war. Sie hatte Lena aber ohnehin schon nach Hause geschickt. Sie wäre tatsächlich das ganze Wochenende allein.
    »Einverstanden«, hörte sie sich sagen. Sie war darüber selbst am meisten überrascht.
    »Dann mach jetzt Schluss«, sagte Bergmüller.
    »Ich muss nur noch kurz …«
    Bergmüller fiel ihr ins Wort: »Das war keine Bitte, sondern eine dienstliche Anweisung«, sagte er streng. Doch als Wiebke zu ihm hochblickte, lächelte er.
    * * *
    Um zwanzig nach vier fuhren sie in Bergmüllers Wagen auf der A21 in Richtung Westen. Das Navi gab neunzehn Uhr fünf als voraussichtliche Ankunftszeit an. Es waren keine Staus gemeldet. Der Motor des Audi A6 brummte leise und gleichmäßig. Bergmüller hatte eine CD mit beruhigender Entspannungsmusik eingelegt.
    Wiebke hatte zu Hause schnell ein paar Sachen zusammengepackt, während Bergmüller im Wagen gewartet hatte. Dann waren sie einfach losgefahren. Als wären sie jung, ungebunden und sorgenfrei. Sie spürte, wie sie sich allmählich entspannte.
    »Stell den Sitz zurück und genieße die Fahrt«, sagte Bergmüller.
    Wiebke fummelte an dem Schalter am Sitz herum, und die Rückenlehne bewegte sich lautlos nach hinten. Sie lehnte sich zurück und ließ sich fallen. Zehn Minuten später war sie sanft eingeschlafen.
    »Hey, Wiebke, wach auf«, hörte sie von ganz weit weg jemanden sagen. »Wir sind gleich da.«
    Sie erwachte langsam, gähnte herzhaft und reckte sich.
    »Wie spät haben wir’s?«, fragte sie.
    »Kurz vor sieben. Wir sind gut durchgekommen«, antwortete Bergmüller.
    »Habe ich die ganze Zeit geschlafen?«, fragte Wiebke verwundert.
    »Das ist kein Wunder nach dem Stress der letzten Wochen, und es hat dir sicher gutgetan«, entgegnete er.
    Sie waren bereits auf der B203. Bis zu ihrem Ziel waren es nur noch wenige Kilometer.
    »Da vorne ist es.«
    Wiebke blickte durch die Windschutzscheibe und sah graue Betonhochhäuser mit einigen bunten Farbtupfen auf der Fassade in den blauen Ostseehimmel ragen. Das war also Damp, das Ostseebad in der Eckernförder Bucht?
    »Was ist denn das?«, fragte sie in einer Mischung aus Überraschung und Verwunderung. »Sind wir auf Malle?«
    »Gefällt es dir nicht?«, fragte Bergmüller lächelnd.
    »Sieht aus wie unsere Plattenbauten von damals«, meinte Wiebke ungläubig. »Da hast du deine Ferienwohnung?«
    »Es wird dir gefallen«, sagte Bergmüller mit viel Überzeugung in der Stimme. »Die Schönheit von Damp erschließt sich erst auf den zweiten Blick. Ging mir genauso.«
    Wiebke zweifelte. Aber eigentlich war es ja auch egal, wohin sie fuhren. Hauptsache, sie hatte mal ein Wochenende frei.
    Sie passierten den Kreisverkehr und bogen in die Hans-Damp-Straße ein.
    »Hans Damp hat also dieses architektonische Meisterwerk geschaffen«, meinte Wiebke spöttisch.
    »Nein.« Er grinste belustigt. »Hans Damp ist eine Kunstfigur. Der erste Marketingchef von Damp trat bei Veranstaltungen in einer Seemannskluft auf. Wie so eine Art Popeye von der Ostsee. Diese Figur nannte er Hans Damp.«
    Er stoppte vor der Schranke. Der innere Bereich des Ostseebades war eine gebührenpflichtige Parkzone. Reinhard hielt sein Saisonticket vor das Lesegerät, und die Schranke öffnete sich. Er fand vor dem Haupteingang des Ostseehotels einen Parkplatz und stellte den Motor ab.
    »Ich schlage vor, dass wir erst mal etwas essen.«
    »Gute Idee«, sagte Wiebke. »Seit Wochen ernähre ich mich nur von unserem Kantinenfraß und Fertigpizza.«
    Sie gingen durch die Drehtür in die Lobby des Hotels. Sie musste Reinhard recht geben. Auch wenn der Beton außen hässlich sein mochte, die Lobby war geschmackvoll eingerichtet. Linker Hand befand sich ein Café im italienischen Stil. Reinhard begrüßte eine Servicekraft, die er offensichtlich kannte.
    Sie durchquerten die Halle und verließen das Hotel durch die Drehtür auf der Rückseite des Gebäudes. Nach wenigen Metern erreichten sie die Uferpromenade. Jetzt wusste Wiebke endgültig, was er mit »Liebe auf den zweiten Blick« gemeint hatte. Im Hafen lagen Jachten, die leise im Wind schaukelten. Das typische Geräusch der Leinen, Segel und Fahnen, die an die Masten schlugen, das Gekreische der Möwen, die würzige Seeluft – ja, sie waren in einem

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