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Raue See

Raue See

Titel: Raue See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Westerhoff
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jeder sein konnte. Sie schien damit zufrieden gewesen zu sein. Er würde sie ja erkennen.
    Er blickte auf die Anzeige und dann auf seine Uhr. In ein paar Minuten würde die airBaltic-Maschine landen. Sie brauche Geld, um ihn zu besuchen, hatte sie geschrieben. Vierhundert Euro würde allein der Hin- und Rückflug kosten. Dass sie den Rückflug nicht mehr benötigen würde, konnte er ihr ja schlecht schreiben. Also hatte er ihr per Western Union zunächst fünfhundert Euro für den Flug und, nachdem sie ihm einen Scan des Tickets und ihres Touristenvisums geschickt hatte, weitere eintausend Euro für was auch immer übermittelt. Finanziell war das auch nicht mehr Aufwand, als er bei den anderen Frauen betrieben hatte. Es ging nur viel schneller.
    Um halb zwei spuckte das Gate die Passagiere des Fluges aus. Sie war nicht zu übersehen. Eine fast einen Meter achtzig große blondierte Frau blickte, krampfhaft lächelnd, suchend umher. Sie trug hochhackige Schuhe und, wie er sehen konnte, halterlose Netzstrümpfe unter einem Rock, der mehr an einen breiten Gürtel erinnerte. Dazu eine Bluse, die eindrucksvolle Einsichten in das sehenswerte Dekolleté offenbarte. Was für eine Nutte, dachte er. Aber das Lachen würde ihr schon vergehen. Er ging auf sie zu.
    »Hi, I am Andreas«, sagte er holperig.
    Sie entspannte sich sichtlich und drückte ihn ohne viel Federlesens einfach fest an ihre Brust. Er roch das schwere, süßliche Parfum.
    »Happy to be here and to see you«, stammelte sie, trat dann ein paar Schritte zurück und fotografierte ihn mit ihrem Handy. Er lächelte gequält.
    »Nice to meet you«, antwortete er. Die notwendigen Floskeln hatte er sich aus einem Sprachführer für England zusammengesucht. »My car is parking outside. Shall we go?«
    Das mit dem Foto ist nicht so schlimm, dachte er. Dann verbrenne ich halt das Handy.
    Sie nickte. Er nahm ihren kleinen Koffer, sie hakte sich unter, und die beiden verließen das Terminal. Sie nahm im Auto Platz, während er ihr Gepäck im Kofferraum verstaute. Dann setzte er sich hinters Steuer und griff neben sich in die Ablage der Tür, wo er das Chloroform aufbewahrte. Sie war vollkommen überrascht und leistete keinerlei Gegenwehr.
    Im Kofferraum konnte er die Frau diesmal nicht verstauen. Es waren zu viele Menschen hier, die ihn dabei beobachten könnten. Er stellte also die Rückenlehne des Beifahrersitzes etwas nach unten, damit es so aussah, als wenn die Frau neben ihm schlafen würde. Das tat sie in gewisser Weise ja auch. Dann kramte er wieder in der Ablage und hatte nach kurzer Suche die Spritze gefunden. Er blickte sich um, ob ihn jemand beobachtete, und injizierte das Betäubungsmittel in den Oberschenkel. Dann startete er den Wagen.
    * * *
    »Du willst also bei ihr bleiben?«, fragte Randolph.
    »Ja, Mann. Ich liebe sie ja noch. Aber nach dem Scheiß, den ich gebaut habe, und bei ihrer Sturheit sieht’s doch wohl zappenduster aus«, antwortete Günter.
    »Du hast nur Angst, dass sie Nein sagen könnte. Aber glaube einem weisen Mann: Du wirst es nie erfahren, wenn du es nicht versuchst.«
    »Du und weise«, sagte Günter und grinste über das ganze Gesicht.
    »Nennen wir es halt erfahren.« Randolph nahm sich noch ein Stück von dem Erdbeerkuchen, den Günter zum Kaffee besorgt hatte. »Denn die Erfahrung lehrt uns, dass es meist der Stolz ist, der uns daran hindert, das Glück zu finden. Möglicherweise ist keine unserer natürlichen Leidenschaften so schwer zu überwinden wie der Stolz.«
    »Kluger Satz. Von dir?«
    »Nein, von Benjamin Franklin.«
    »Und was soll ich deiner erfahrenen Meinung nach tun?«
    »Kauf rote, langstielige Rosen. Fahr zu ihr hin. Gib ihr die Blumen und sag ihr, dass es dir leidtut. Entschuldige dich. Sag ihr, dass du sie liebst.«
    »Vielleicht ist sie ja gar nicht zu Hause. Ich rufe lieber vorher mal an.« Günter griff zum Telefon.
    »Bist du wahnsinnig?«, rief Randolph. »Leg sofort das Ding wieder hin!«
    Erschrocken legte Günter das Handy wieder auf den Tisch. »Wieso?«
    »Weil das überraschend kommen muss. Sie darf keine Chance haben, dir auszuweichen. Wenn du anrufst, wird sie nur abblocken.«
    »Okay«, schnaufte Günter. »Nach dem Kaffee.«
    »Sofort nach dem Kaffee.«
    * * *
    Eigentlich hatte er vorgehabt, die friedlich neben ihm schlafende Frau ohne Pause zum Ziel zu bringen. Doch ein unerbittlicher Gegner, seine Blase, war stärker. Schon der Gedanke an das Geräusch von fließendem Wasser ließ ihn seine

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