Raue See
Minuten in der Blücherstraße. Ich bring nur vorher meine Sachen nach Hause.«
»Einverstanden, bis gleich.« Wiebke wandte sich ab.
Ja, es gab Sex ohne Liebe, das wurde ihr jetzt klar. Sie fühlte sich überhaupt nicht zu ihm hingezogen. Sie wollte ihm nicht einmal einen Abschiedskuss geben. Und noch einmal mit ihm schlafen wollte sie auch nicht. Die Erkenntnis war so klar wie ein lupenreiner Diamant. Sie ging nach oben und duschte noch schnell, bevor sie losfuhr. Vom Auto aus informierte sie Lena, die versprach, ebenfalls zu kommen.
Es könnte sein, dass sie ihn bald hatten.
ZWÖLF
Randolph blickte Günter erwartungsvoll an, als dieser ins Wohnzimmer kam.
»Und? Wie ist es gelaufen.«
Günter sagte nichts, sondern holte den Wodka und zwei Gläser. Immer noch schweigend goss er zwei Gläser voll, deutete ein Zuprosten an und kippte das Glas auf ex.
»Nun lass dir nicht alles aus der Nase ziehen.«
Günter holte tief Luft und berichtete von seiner gerade gemachten Erfahrung. Mit offenem Mund hörte Randolph ihm zu. Als Günter fertig erzählt hatte und den nächsten Wodka kippte, sagte er nur: »Scheiße.« Dann legte sich ein Lächeln über sein kantiges Gesicht, und er fügte hinzu: »Wenigstens steht es jetzt unentschieden.«
* * *
Zitternd führte Katharina Shkarupa die Zigarette an den Mund. Sie zog und inhalierte tief. Streicher löste die Manschette an ihrem anderen Arm und notierte die Blutdruckwerte. Die Tür öffnete sich, und Wiebke trat in ihr Büro.
»Hallo, Herbert«, begrüßte sie ihren Kollegen. »Wie geht es ihr?«
»Körperlich so weit okay«, antwortete er. »Dass ihr Puls erhöht ist und der Blutdruck leicht über der Norm liegt, ist angesichts der Situation wohl nachvollziehbar. Ich habe ihr Blut abgenommen. Die Proben sind schon auf dem Weg ins Labor.«
»Hast du ihr irgendetwas gegeben?«, fragte Wiebke.
Streicher schüttelte den Kopf. »Bis ich weiß, was und wie viel der Entführer ihr verpasst hat, ist das nicht zu verantworten.«
»Aber den Blutdruck bei einer gleichzeitig rauchenden Patientin messen, das ist zu verantworten, ja?«, foppte sie ihn.
»Willst du es ihr verbieten?«, antwortete er achselzuckend. Wiebke winkte ab.
»Kann ich sie vernehmen?«
»Ja, da sehe ich kein Problem.«
Nach und nach füllte sich das Büro mit den Mitgliedern der Soko. Ängstlich beobachtete Katharina Shkarupa die Menschenmassen, die sie anstarrten. Wiebke registrierte das und sagte energisch: »Alle raus hier! Die Vernehmung mache ich allein. Sobald ich fertig bin, informiere ich euch.«
Sie erwartete eigentlich, dass Bergmüller ihr widersprechen würde. Nicht weil er vielleicht anderer Meinung war, sondern weil er als Chef der Soko seine Autorität untergraben sah. Doch zu ihrer Überraschung opponierte er nicht. Im Gegenteil.
»Wiebke hat recht«, hörte sie seine durchdringende Stimme sagen. »Kollegen, solange wir warten, kann jeder an seine Arbeit gehen. Sobald der Dolmetscher da ist, befragt die Kollegin Menn die Zeugin von Frau zu Frau. Dass mir bis zum Ergebnis der Befragung keiner wagt, das Gebäude zu verlassen!«
»Wir können sofort anfangen«, sagte Wiebke und begann in fließendem Russisch, mit Katharina zu reden. Die schaute überrascht und lächelte dann entspannt.
»Woher kannst du das?«, fragte Bergmüller.
»Du müsstest doch meine Vita kennen. Es hat auch seine Vorteile, wenn man in der DDR aufgewachsen ist«, meinte Wiebke. »Und jetzt raus hier.«
Dann besann sie sich und fragte Bergmüller, ob sie Lena für das Protokoll dabehalten könne. Sie wolle sich ganz auf die Befragung konzentrieren. Bergmüller willigte ein, scheuchte die anderen aus dem Büro und schloss die Tür hinter sich.
Katharina Shkarupa erzählte atemlos, was ihr widerfahren war, und Wiebke war froh, zu dieser möglicherweise entscheidenden Zeugin in einem der wichtigsten Fälle ihrer Karriere schnell einen Draht gefunden zu haben. Sie musste sie allerdings ständig unterbrechen und übersetzen, damit Lena, die kein Russisch sprach, die Informationen notieren konnte.
»Kannst du den Täter beschreiben?«, fragte Wiebke schließlich. »So, dass wir ein Phantombild machen können?«
Katharina Shkarupa lächelte trotz der Anspannung und sagte: »Das ist nicht nötig. Ich habe ein Foto.« Sie kramte in ihrer Handtasche, holte ihr Handy hervor und präsentierte der verblüfften Wiebke ein gestochen scharfes Foto des Mannes auf dem Display. Wiebke griff zum Telefonhörer.
»Herbert,
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