Raumfahrergarn
wollte wissen, warum du für dein Alter so jung aussiehst. Hast du wirklich sechzig Jahre lang im Kälteschlaf gelegen?«
Lunzie war nicht schockiert. Sie hatte damit gerechnet, daß dergleichen früher oder später passieren würde. »Um ehrlich zu sein, kann ich mich nicht an das Geringste erinnern, aber gegen die Tatsachen komme ich wohl nicht an. Dieser verdammte Shof. Meine Unterlagen waren nicht für die Öffentlichkeit bestimmt.«
»Man kann nichts vor ihm verbergen. Wir kommen als Zimmergefährten gut miteinander aus, weil ich ihn genauso behandle wie meinen kleinen Bruder, seine Fähigkeiten respektiere und sein Ego ignoriere. Es ist ein Glück, daß er ein gesundes moralisches Empfinden hat, sonst könnte er jede Menge Credits scheffeln. Na, komm schon, kauf dir doch mal was. Du gibst dein Geld doch sonst nur für deine mysteriösen Nachforschungen aus. Die Mode hat sich sehr verändert, seit du dir dieses Outfit zugelegt hast. Keiner trägt mehr Hosen bis zu den Waden. Glaub mir, du wirst dich in neuen Sachen besser fühlen.«
»Na gut …« Offenbar war Shof noch nicht auf ihre GBI-Datei gestoßen. Gott sei Dank. In ihren Unterlagen standen noch andere Dinge, die sie nicht an die große Glocke hängen wollte, unter anderem, daß sie als Studentin einer Ethikkommision für eine Klon-Kolonie angehört hatte. Die beschönigten Details des abgebrochenen Projekts waren inzwischen sicher an die Öffentlichkeit gedrungen, aber sie wußte nicht recht, wie die anderen reagieren würden, wenn sie von ihrer Beteiligung erfuhren. Klonen war für die meisten Menschen ein Reizthema. Lunzie wog den Preis einiger neuer Kleidungsstücke gegen die Kosten einer Datenrecherche ab. Vielleicht hatte sie zu streng auf ihren Kontostand geachtet. Obwohl sie den faden Geschmack von synthetischen Nahrungsmitteln verabscheute, hatte sie ausschließlich Synthetisches gegessen, um die Kosten für echte Mahlzeiten einzusparen. Jeder Bruchteil eines Credits mußte für ihre Suche nach Fiona zur Verfügung stehen. Vielleicht ließ sie es zu, daß ihre Obsession ihr ganzes Leben bestimmte. Bei dem Interesse, das ihr Vermögen erweckte, machte es sicher nicht viel aus, wenn sie ein wenig für sich selbst ausgab.
»Na gut, wir gehen ein wenig einkaufen, und danach kannst du mich beim 3d-Forum absetzen. Ich will mir die heutigen Nachrichten ansehen.«
Lunzie hatte sich Wilkins Rat zu Herzen genommen und nutzte jede Informationsquelle, die ihr zur Verfügung stand. Im EEC-Büro füllte sie Hunderte von Antragsformularen aus, um Zugriff auf alle Dokumente über Fiona zu erhalten, und erkundigte sich, was sie mit der verfluchten Kolonie auf Phoenix zu tun hatte.
›Verflucht‹ war nicht übertrieben. In der Zeit, seit sie den ersten Bericht über Phoenix gesehen hatte, war ein Schiff unabhängiger Kaufleute auf dem Planeten gelandet, um mit den Kolonisten zu handeln, und hatte seine Geschichte an die 3d-Produzenten verkauft. Das Handelsschiff hatte Videokuben mitgebracht, in denen Aufnahmen des Geländes gespeichert waren, die ein ›rauchendes Loch‹ an der Stelle zeigten, wo das Lager der Leichtgewichte gestanden hatte. Die Kaufleute hatten außerdem versichert, daß die menschlichen Schwergewichte, die dort jetzt lebten, über keine Waffen dieser Größenordnung verfügten und unmöglich für die Zerstörung der Kolonie verantwortlich sein konnten. Lunzie, die eine Abneigung gegen Schwerweltler entwickelte, welche sie selbst überraschte, mißtraute einer solchen leichtfertigen Versicherung, aber die Kolonisten hatten unter Eid geschworen, daß der Planet bei ihrer Ankunft unbewohnt gewesen war. Auf jeden Fall hatten sie die Lebensfähigkeit ihrer eigenen Siedlung bewiesen und nun Anspruch auf FES-Privilegien und -Schutz. Der GBI berichtete ihr ungefähr dasselbe.
Die Schwerweltler hatten auch ihre Enttäuschungen erlebt. Der ursprüngliche EEC-Erkundungsbericht, der zwölf Jahre vor der ersten Kolonisierung abgefaßt wurde, hatte behauptet, daß Phoenix über reiche Vorkommen an radioaktiven Erzen verfügte, die problemlos ausgebeutet werden konnten, weil sie in zutage liegenden Verwerfungen leicht zugänglich waren. Die Geigerzähler knatterten allerdings nur leise. Die Kruste des Planeten war weitgehend frei von Transuranen. Wenn die Siedler auf Phoenix gehofft hatten, mit einer neuen Quelle dieser stets knappen Erze zu einer bedeutenden Handelsmacht in der FES aufzusteigen, wurden sie bitter enttäuscht. Statt den Mangel den
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