Raumfahrergarn
nach hinten über beugen, die Hände flach auf den Boden setzen und die Ellbogen entspannen konnte, ohne die Knie zu beugen. Alle Verspannungen in der Muskulatur verschwanden, als sie geschmeidig eine Reihe tanzartiger Kampfpositionen durchexerzierte. Lunzie achtete darauf, die Computerkonsole und die Sockel der Skulpturen nicht zu treffen, als sie leichtfüßig durchs Zimmer sprang und mit einem unsichtbaren Gegner kämpfte. Mentale Disziplin lehrte einen, die Fähigkeiten seiner Muskeln und Sehnen zu beherrschen und zu verbessern. Jede Haltung schulte nicht bloß die entsprechenden Körperpartien, sondern sorgte außerdem dafür, daß sie sich nach den Übungen frischer fühlte als vorher. Unter ihrer bewußten Kontrolle verursachten ihre Schritte kein Geräusch. Sie war so lautlos wie die schwarzen Schatten, die die Sonne an die Wand malte. Sie war im Gleichgewicht und jede Bewegung eine Reaktion, eine Antwort auf eine vorhergehende.
Sie hielt den Rücken kerzengerade und nahm mit überschlagenen Beinen vor dem Sofa, wo die Sonne ihr in den Schoß schien, eine Meditationshaltung ein. Sie streckte die Arme aus, drehte die Handflächen nach oben und ließ sie langsam zu beiden Seiten ihrer Knie auf den Boden sinken.
Lunzie schloß die Augen und konzentrierte sich ganz aufs Hier und Jetzt, bis sie nur noch ihren Körper spürte, die Muskeln, die den Rücken gerade hielten, den Druck ihres Gesäßes auf den Bogen, den ihre Beine bildeten, die Wärme der Sonne auf ihren Beinen, den kratzigen Teppich an ihren Händen und Füßen.
Sie steigerte ihre Konzentration. Tief im Gaumen schmeckte sie die letzte Spur des Tees, den sie getrunken hatte, und spürte, wie die warme Flüssigkeit ihren Magen leicht ausdehnte. Lunzie spürte jeden Muskel, mit dem sie Luft einatmete, lockerte ihn und spürte die Entspannung in allen Teilen ihres Körpers, als frischer Sauerstoff das ermüdende, verbrauchte Kohlendioxid verdrängte. Die Haut ihrer Wangen und ihrer Stirn hingen schwer an den Gesichtsknochen. Sie entspannte ihren Unterkiefer.
Sie stellte sich ihre Organe und Blutgefäße als Kanäle vor und ließ ihre Gedanken hindurchfließen, um ihre Funktionen zu überprüfen. Alles war in Ordnung. Schließlich ließ sie ihr Bewußtsein in ihre Körpermitte zurückkehren. Es wurde Zeit, daß sie sich nach innen dem Frieden zuwandte, der die größte Kraftquelle der mentalen Disziplin und das Ziel darstellte, dem ihre Seele zustrebte.
Lunzie erwachte gerade noch rechtzeitig aus ihrer Trance, um das Surren des Turbolifts zu hören, der vor ihrer Tür anhielt. Ihr Körper war entspannt und locker, ihr inneres Ich ruhig. Sie blickte auf, als Tee hereinstürmte. Sein gutgelauntes Gesicht strahlte.
»Ich habe tolle Neuigkeiten, Lunzie! Ich habe deine Fiona gefunden! Sie lebt noch!«
Lunzies Hände krallten sich in den Teppichboden, und sie hatte das Gefühl, als habe ihr Herz plötzlich zu schlagen aufgehört. Ihre innere Ruhe verflog in einem Ansturm von Hoffnung, Furcht und Aufregung. Konnte das wahr sein? Sie wollte die Freude teilen, die sie in seinen Augen sah, aber sie traute sich nicht.
»O Tee«, flüsterte sie, und plötzlich schnürte sich ihr die Kehle zu. Ihre Hände zitterten, als sie die Hände nach Tee ausstreckte, der vor ihr auf die Knie sank. »Was hast du herausgefunden?« Von einem Moment zum anderen waren alle ihre Ängste wieder da. Sie konnte es sich noch nicht gestatten, die Neuigkeit für wahr zu halten.
Tee zog einen kleinen keramischen Informationsspeicher aus der Tasche und ließ ihn in ihre Hand fallen. »Hier ist alles drin. Ich habe handfeste Beweise. Kurz bevor die Kolonie verschwand, wurde die medizinische Technikerin Fiona Mespil von der EEC abberufen. Sie wurde dringend an anderer Stelle gebraucht«, erklärte Tee. »Es war ein Notfall, und das Schiff, das sie abholte, gehörte nicht der FES-Flotte an – es war ein Handelsreisender, der gerade in der Gegend zu tun hatte –, deshalb wurde ihr Name nicht von der Personalliste der unglücklichen Phoenix-Kolonie entfernt. Sie lebt noch!«
»Sie lebt …« Lunzie machte keinen Versuch, ihre Freudentränen zurückzuhalten. Tee wischte sie weg, dann tupfte er seine eigenen strahlenden Augen ab. »Oh, Tee, danke! Ich freue mich so.«
»Ich freue mich auch – für dich. Es ist ein Geheimnis, das ich wochenlang zurückgehalten habe, weil ich auf eine Bestätigung warten mußte. Ich konnte mir nicht sicher sein. Ich wollte dich nicht mit vergeblichen
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