Raumfahrergarn
das Fiona als kleines Kind zeigte, und betrachtete die Bilder des Mädchens aus der Zeit, als sie zur Frau reifte. Es waren Bilder von Fionas verstorbenem Mann und allen Babies darunter. Schon als Säugling hatte Lars einen ernsten, eingebildeten Gesichtsausdruck gehabt, der sie beide zum Kichern brachte. Lona zog das untere Schubfach des Kästchens heraus und entnahm ihm Lunzies Universitätsdiplome.
»Warum heißt du Lunzie Mespil und nicht einfach nur Lunzie?« fragte Lona, als sie die verschlungenen Buchstaben auf dem plastikbeschichteten Pergament las.
»Was hast du gegen Mespil?« wollte Lunzie wissen.
Lona zog verächtlich die Lippen hoch. »Nachnamen sind barbarisch. Sie veranlassen Leute, jemanden nach seinen Ahnen oder nach seinem Beruf zu beurteilen, nicht nach seinem Verhalten.«
»Möchtest du eine ehrliche Antwort hören oder eine, die deinem Onkel Lars lieber wäre?«
Lona grinste verschlagen. Sie teilte offenbar Lunzies Meinung, daß Lars ein rückständiger, alter Wichtigtuer sei. »Die Wahrheit.«
»Die Wahrheit ist, daß ich als Studentin eine befristete Ehe mit Sion Mespil eingegangen bin. Er war ein engelhafter, gutaussehender Charmeur, der die medizinische Schule zur selben Zeit besuchte wie ich. Ich war sehr in ihn verliebt, und er wohl auch in mich. Wir wollten zu dieser Zeit keine dauerhafte Ehe eingehen, weil wir beide noch nicht wußten, wie es nach der Schule mit uns weitergehen würde. Ich habe Psychologie studiert, und er Genetik und Reproduktionsmedizin. Es hätte sein können, daß wir zu entgegengesetzten Enden der Galaxis aufgebrochen wären – und so ist es auch geschehen. Wenn wir zusammengeblieben wären, hätte es natürlich eine dauerhafte Ehe werden können. Ich habe seinen Nachnamen behalten und ihn an Fiona weitergegeben, damit sie irgendwann in der Zukunft nicht aus Versehen einen ihrer Halbbrüder heiratet.« Lunzie lachte. »Ich schwöre, Sion hat nur deshalb Gynäkologie als Hauptfach belegt, damit er seinen eigenen Nachwuchs auf die Welt bringen kann. Mit Ausnahme der Zeit, als wir verheiratet waren, habe ich niemals einen Mann mit einem derart aktiven Liebesleben erlebt.«
»Wolltest du nicht, daß er Fiona mit aufzieht?« fragte Lona.
»Ich habe mich durchaus imstande gefühlt, allein auf sie aufzupassen. Ich habe sie sehr geliebt, und, um die Wahrheit zu sagen, Sion war besser darin, Kinder zu zeugen als sie aufzuziehen. Er war ganz froh darüber, daß ich mich darum gekümmert habe. Außerdem hat mein Fachgebiet es erforderlich gemacht, daß ich viel reiste. Ich konnte nicht von ihm erwarten, daß er ständig mit uns in Kontakt blieb. Es ist so schon für Fiona schwer genug gewesen.«
Lona saugte Lunzies Geschichte mit jeder Pore ein, als handle es sich um ein 3d-Abenteuer. »Hast du nach der medizinischen Schule je wieder von ihm gehört?« wollte sie wissen.
»O ja, natürlich«, versicherte Lunzie ihr mit einem Lächeln. »Fiona war sein Kind. Er hat uns jedesmal zehn K Daten geschickt, wenn er erfuhr, daß wieder eine Sammelnachricht für unsere System zusammengestellt wurde. Wir haben dasselbe getan. Natürlich mußte ich seine Briefe an Fiona bearbeiten. Ich glaube nicht, daß es in diesem Alter gut für sie gewesen wäre, wenn sie Einzelheiten über das Liebesleben ihres Vaters erfahren hätte, aber seine genetische Arbeit war interessant. Weißt du, er hat an den Schwerwelt-Mutationen mitgearbeitet. Ich glaube, er hatte nicht weniger Einfluß als ich darauf, daß sie sich der Medizin zuwandte.«
»Ist er das?« Lona zeigte auf einen der Männer auf Lunzies Abschlußfoto der medizinischen Schule. »Er sieht gut aus.«
»Nein. Er da.« Lunzie hielt die hohle Hand hinter Sions Hologramm, um es hervorzuheben. »Er hatte das Gesicht eines mildtätigen Geistes, aber sein Herz war so schwarz wie sein Haar. Er hat die bei weitem schlimmsten Scherze in der Galaxis angestellt. Einmal hat er in der Anatomiestunde mit einem Leichnam etwas wirklich Ekliges angestellt … Na ja, vergessen wir’s.« Lunzie zuckte zusammen, wenn sie daran dachte.
»Erzähl’s mir!« bettelte Lona.
»Diese Geschichte ist wirklich zu widerlich.«
»Bitte!«
Je klarer sie sich an die abstoßenden Details erinnerte, um* so entschlossener wurde sie, nichts davon zu verraten. »Nein, auf keinen Fall. Es gibt viele andere Geschichten, die ich dir erzählen kann. Wann mußt du nach Hause?«
Lona tat die Frage mit einem Wink ab. »Zu Hause erwartet mich niemand. Ich hänge immer
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