Raumkapitän Sun Tarin
Gesprächspartner auszudrücken, sondern auch dazu, eine unfreundliche Haltung zu verbergen.
Dass die Menschen dadurch in ihrer eigenen Geschichte auf zahlreiche folgenschwere diplomatische Fehler und Missverständnisse zurückblicken, dürfte auf der Hand liegen, und ich habe immer wieder versucht, darauf hinzuwirken, dass bei diplomatischen Kontakten auf die schriftliche Form Wert gelegt wird. Denn dabei entfällt dieser verwirrende und teilweise widersprüchliche Informationsanteil, den die menschliche Mimik zu transportieren vermag.
Andererseits – wenn man darin wirklich zu lesen versteht, kann man die geheimen und wahren Absichten des Gesprächspartners in einer Weise erkennen, wie es keinem Kridan möglich wäre. Die Christophorer sind wahrscheinlich die vollkommensten Meister im Lesen dieser Subbotschaften. Sie sind sogar so gut darin, dass viele Menschen von ihnen den Eindruck haben, sie könnten Gedanken lesen.
Das können sie nicht, wie mir mein christophorischer Gesprächspartner stets versicherte.
Sie können Gedanken und Emotionen stattdessen im Gesicht des Gegenübers sehen .
Nur die Tatsache, dass ein schnabelbewehrtes Kridan-Gesicht zwar von unvergleichlicher Schönheit sein kann – aber doch in der Regel recht starr ist –, verhalf mir dazu, mich mit Bruder William unbefangen unterhalten zu können.
Was nun meinen Onkel Feran-San betrifft, so glaube ich heute, dass er fast ein Paradebeispiel für die Theorie vom Minderwertigkeitsgefühl gegenüber dem Kosmos ist.
Denn Feran-San fühlte sich minderwertig.
Sein Eivater hatte meinem Vater den Namen weitervererbt und ihn Sun-Tarin genannt – und dann hatte ich die Ehre, diesen Namen weiter zu tragen. Diese Entscheidung traf sein Eivater – mein Eigroßvater –, bevor das Gelege geschlüpft war.
Mit einem Scanner war bereits festgestellt worden, welchen der Eier des Geleges männliche oder weibliche Küken entschlüpfen würden. Das vor dem Schlüpfen zu bestimmen, war in jener Zeit in den Familien verdienter Krieger üblich gewesen. Später kamen unter den Tugendwächtern theologische Bedenken auf, die schließlich auch die Priesterschaft erfassten. Ich halte es aber auch für möglich, dass sich die Priesterschaft lediglich dieser populären Bewegung unter den Tugendwächtern bediente, um ihren eigenen Einfluss zu stärken.
Vor Gott sind alle Kridan gleich, so heißt es in den Schriften des Ersten Raisa. Dass dies nur ein Ideal sein kann, dem man nachfolgt, liegt auf der Krallenhand. Denn schon Gott hat die Begabungen unter den Seinen nicht gleichmäßig verteilt, so wie Er auch nicht jedes Volk gleichermaßen für würdig erachtet, zur Errichtung Seiner Ordnung beizutragen. Aber wer immer eine zu große Ungleichheit anprangert, wird damit im Volk Gehör finden, denn die Überzeugung, dass die Unterschiede in sozialer Hinsicht nicht allzu groß sein sollten, ist in unserem Volk weitverbreitet. Übrigens liegt darin auch ein erheblicher Unterschied zu dem, was ich unter den Menschen erlebte. Sie nehmen Unterschiede in Status und Besitz hin, die Kridan nicht akzeptieren würden.
Wie auch immer, Feran-San hatte offenbar den Makel ausgleichen müssen, dass nicht er den Namen seines Eivaters geerbt hatte, sondern sein Bruder – mein Vater. Daher war er stets bestrebt, meinen Eivater in allem zu übertreffen, was nicht ganz leicht war. Mein Vater war ebenso wie mein Großvater erfolgreicher Raumschiffkommandant in den Diensten der Tanjaj. Beide kommandierten Schiffe, die an wichtigen Operationen teilnahmen. Feran-San musste dies übertreffen. Und er wollte meinem Eivater das Gefühl geben, dass auch ich ihn übertraf. Ein Seraif, der stärker im Glauben und höher in Gottes Ansehen wäre als ein gewöhnlicher Tanjaj.
Ich weiß nicht, weshalb ich dem Drängen meines Onkels schließlich nachgab.
Vielleicht wurde ich aus demselben Grund Seraif wie er: Weil ich einem anderen, der denselben Namen trug wie ich und mein Eivater war, etwas beweisen musste.
Es ist erschreckend zu sehen, dass die menschlichen Denker, die etwas über das Minderwertigkeitsgefühl schrieben, ebenso gut Kridan wie Menschen gemeint haben könnten. Und das in einer Zeit, in der das Menschenvolk seinen Planeten noch nicht einmal verlassen hatte und seine Mathematik gerade weit genug war, um so simple Dinge wie die Relativitätstheorie zu erfassen.
»Ich freue mich, dass du jetzt dein eigenes Kommando bekommst«, sagte mein Eivater. »Dazu kann
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