Raumkapitän Sun Tarin
ein glucksender, gurgelnder Laut entrang. Damals war ich jung und unerfahren. Heute habe ich gelernt, solche Laute zu unterdrücken, da sie meine menschlichen Gesprächspartner stets irritierten. Das Fehlen dieser Laute – oder doch ihre merkliche Reduktion auf ein absolut unvermeidbares Maß – irritiert im Übrigen jetzt, nach meiner Rückkehr, häufig kridanische Gesprächspartner. Die Menschen würden das Ironie nennen. Aber was man darunter versteht, werde ich an anderer Stelle erläutern, damit man mir nicht vorwirft, von der Hauptsache abzuschweifen. Jeder, der dies so empfindet, mag mir allerdings zugutehalten, dass ich nicht darin geübt bin, das, was mich persönlich bewegt, zu formulieren und abzuspeichern. Niemand ist darin geübt, denn unsere Schriften beschäftigen sich mit vielen Dingen. Mit theologischen Problemen, mit der Suche nach Gott, mit der Errichtung der Göttlichen Ordnung und damit, wie mit Ketzern zu verfahren ist oder wie sich der Eifer eines Ketzers von dem Eifer eines Rechtgläubigen abgrenzt.
Aber wie ich schon einmal erwähnte, hat die persönliche Befindlichkeit, das ganz auf den Einzelnen bezogene Erlebnis, bisher kaum Platz in den Aufzeichnungen unseres Volkes gehabt.
Wie hätte es auch anders sein können?
Was ist schon persönliches Schicksal, ein persönlicher Gedanke, ein persönliches Glück oder Unglück gegenüber dem Gelingen oder Scheitern jener gewaltigen Aufgabe, die den Kridan aufgebürdet wurde? Verblasst dagegen nicht alles andere? Wie kann jemand, dessen Bestimmung es ist, die Göttliche Ordnung des Kosmos zu errichten, sich darüber viele Gedanken machen, welches Glück oder Unglück die Verbindung mit einer bestimmten Eierlegerin bedeuten kann?
Ich habe dem Drängen meines Onkels später nachgegeben und bin tatsächlich den Seraif für kurze Zeit beigetreten. Das Motiv dafür dürfte nicht allein die Tiefe des Glaubens gewesen sein. Ich bin Realist genug, um das zu erkennen.
Es war wohl mindestens ebenso sehr dem Drang geschuldet, etwas Besonderes vollbringen zu wollen. Ein Drang, der mich in einer bestimmten Phase meines Lebens stärker erfasste, als es nach den Maximen des Glaubens eigentlich schicklich ist.
Die Menschheit hat ein paar interessante Theorien zu diesem Thema entwickelt, und ich muss gestehen, dass ich darin nicht nur mich selbst, sondern auch das Schicksal vieler anderer Kridan gespiegelt sah. Es erstaunte mich zudem, wie ähnlich sich unsere Spezies dann bei aller sonstigen Verschiedenheit doch erwiesen, was in mir kurzzeitig die Frage aufwarf, was es wohl sein mochte, das Gott dazu bewegt hatte, ausgerechnet mein Volk zu dem auserwählten zu machen.
Oft habe ich mit Bruder William, einem Mitglied des Wissenschaftlerordens der Christophorer, über diese Theorien gesprochen, die von Menschen wie Siegmund Freud oder Alfred Adler erfunden und von anderen ausdifferenziert und weiterentwickelt wurden. So vertrat Adler die These, dass ein Gefühl der Minderwertigkeit das Handeln motiviert. Die Minderwertigkeit Einzelner gegenüber anderen Einzelnen ebenso wie das Gefühl der Minderwertigkeit von Gruppen oder Völkern gegenüber anderen Gruppen oder Völkern.
»Das stärkste Minderwertigkeitsgefühl empfindet das Individuum aber gegenüber dem Kosmos selbst«, so erläuterte mir der Mönch einmal. »Adler sah darin den Ursprung der Religion.«
»Wie können Sie so etwas sagen, wo Sie doch selbst ein Mann des – wenn auch in wesentlichen Punkten falschen – Glaubens sind«, fuhr ich ihn damals an und machte dabei so viele unbeabsichtigte Nebengeräusche, dass er wahrscheinlich große Mühe hatte, mich zu verstehen.
Allerdings haben die Christophorer-Mönche in dieser Hinsicht ein besonderes Talent, sodass mir die Peinlichkeit erspart blieb, meine Worte zu wiederholen und neu ordnen zu müssen.
»Adler war gewiss ein Atheist«, sagte Bruder William. »Aber das würde mich niemals davon abhalten, daran die Wahrheit oder Unwahrheit seiner Theorien zu bemessen.« Er hatte gelächelt. Die Menschen verstehen darunter eine bestimmte Bewegung der Muskulatur um ihre Ess- und Sprechöffnung. Diese Zuckungen werden für nonverbale Äußerungen benutzt, die ich mich die ganze Zeit, da ich unter Menschen gelebt habe, immer bemühte, richtig zu verstehen. Es gelang mir nicht immer, aber nach und nach immer besser. So erkannte ich unter anderem irgendwann, dass ein Lächeln nicht nur dazu benutzt wird, eine freundliche Stimmung gegenüber dem
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