Raumkapitän Sun Tarin
des Datenmaterials hatte in Erfahrung bringen können, waren die Riesenvögel sehr friedlich und umgänglich.
Offenbar zu friedlich! , ging es dem Kridan-Kommandanten durch den Kopf. Schließlich gestatten sie den Menschen sogar, sie zu verspeisen!
Der Forscher, dessen Daten die Kridan-Expedition erhalten hatte, war sogar der Ansicht, dass die Laufvögel den Menschen für ihre Vorgehensweise dankbar waren, weil es den Schnabelträgern die Auswahl derjenigen abnahm, die sterben mussten, um den anderen die Lebensgrundlage zu erhalten.
Sun-Tarin mochte das nicht glauben. Und auch der Ortungsoffizier der PFEIL DER GÖTTLICHEN ORDNUNG, der ja das Material durch das Übersetzungsprogramm des Bordrechners hatte übertragen lassen, war sich offenbar nicht ganz sicher, ob hier nicht vielleicht doch ein Fehler vorlag.
Das Übertragen einer Information in eine andere Sprache war eine heikle Sache, wie Sun-Tarin wusste. Mitunter gingen wesentliche Teile des Bedeutungsgehalts verloren, und am Ende kam nichts weiter als eine verkrüppelte Fälschung des Originals heraus, die vielleicht sogar völlig in ihrem Sinn entstellt oder ins Gegenteil verkehrt worden war.
Fest stand für Sun-Tarin jedenfalls, dass es völlig ausgeschlossen war, dass Schnabelträger – die Ebenbilder Gottes – sich freiwillig als Fleischreserve für minderwertige und dazu noch ungläubige Säugetierabkömmlinge hergaben.
Doch schien das Forschungsmaterial dieses Forschers mit Namen James Rüdiger Beltran genau das zu belegen.
Was mag diesen Ebenbildern Gottes nur zugestoßen sein, dass sie sich bereitwillig als Schlachtvieh hergeben?
Eine sehr leise Stimme meldete sich in Sun-Tarins Hinterkopf.
Eine Stimme, die einen Gedanken äußerte, der so respektlos, so ketzerisch war, dass der Kommandant unwillkürlich erschrak. Er mochte im ersten Moment kaum glauben, dass er selbst der Urheber dieses Gedankens war, der sich ihm da in einer Weise aufdrängte, die es ausschloss, ihn einfach zu ignorieren.
Tun wir Tanjaj nicht im Grunde etwas sehr Ähnliches? , fragte also der verborgene Ketzer in Kommandant Sun-Tarins Seele. Opfern wir nicht genauso bereitwillig unser Leben, wie es von den Schnabelträgern dieses Planeten angenommen wird?
Sun-Tarin und Hen-Len landeten bei einer ruhig wirkenden Herde. Diese Wesen ansprechen zu wollen, wenn sie als eine stampfende Masse über die Ebene liefen und das Moos niedertrampelten, erschien Kommandant Sun-Tarin wenig sinnvoll zu sein. Aber die Herde von Riesenvögeln, die sie jetzt besuchten, hatte sich in der Nähe eines Steins versammelt, der aus der Moosfläche herausragte. Etwa zwanzig Meter hoch war dieser Brocken. Gemessen an den gigantischen Riesenvögeln, wirkte er kleiner, als er war.
Irgendeine Bedeutung musste er für die Herde haben.
»Hier liegen Knochen unter der Moosschicht«, stellte Hen-Len fest, nachdem er das Gebiet mit seinem Ortungsgerät gescannt hatte.
Sun-Tarin stellte dasselbe fest.
»Es müssen Tausende Skelette sein!«, murmelte er.
»Wie barbarisch! Die Menschen scheinen die Knochen der Geschlachteten einfach zurückzulassen, und nun trauern diese Armen um ihre Eibrüder und -schwestern.« Hen-Len war sehr bewegt. Er sprach mit vibrierendem Schnabel, und seine Worte bekamen einen etwas verkrächzten Tonfall.
Nachdem sie sich ihnen genähert hatten, fragte sich Sun-Tarin zunächst, ob er die Riesenvögel überhaupt in ihrer Andacht – denn dafür hielt er diese Zusammenkunft – stören durfte. Er selbst hätte es schließlich auch nicht sonderlich geschätzt, wenn man ihn beispielsweise während der Reinigungszeremonie im Tempel angesprochen hätte. Es musste einen Bereich des Heiligen geben, der von niemandem angetastet wurde. Davon war Kommandant Sun-Tarin zutiefst überzeugt.
Und wenn man diesen armen Ebenbildern Gottes schon die Vogelwürde verweigerte und sie als Schlachtvieh benutzte, so hieß das doch nicht, dass man das Recht dazu hatte, ihnen auch noch die letzte Würde zu nehmen.
Die Würde, die es bedeutete, dem Unbekannten, dem Transzendenten gegenüberzutreten und es anzusprechen – selbst wenn die Vorstellung davon, wie im Fall dieser Vogelbarbaren, gewiss auf einer primitiven Stufe stand und mit der kridanischen Theologie in all ihrer Gelehrsamkeit nicht vergleichbar war.
Eine tief verankerte Ahnung davon, dass da Mächte waren, die nicht der diesseitigen Welt entsprangen, sondern nur auf einer sehr viel weitergehenden Ebene der Erkenntnis erfasst werden konnten.
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