Raumkundschafter Katman
sollte er jemanden ohne Kampf so nahe an sich heranlassen?«
Dutch wußte, wen Goa Sung hinter sich, ihm über die Schulter schauend, geduldet hätte: Sibyll Kelton, seine Assistentin. Aber er verdrängte die abwegige Vermutung. Weshalb hätte sie ihn dann mitten in der Nacht geweckt und hierher geführt?
»Ob man ihn im Schlaf überrascht hat?«
»Er schlief nicht. Der Energoschock traf ihn bei vollem Bewußtsein.«
»Sind Sie sicher?«
»Zu neunundneunzig Prozent.«
Dutch überlegte. »Dann muß er eine Mitteilung hinterlassen haben.«
»Wenn er nicht in halluzinativem Zustand handelte.«
Dutch betrachtete das Gesicht des Toten. So zufrieden hatte der lebende Goa Sung seit langem nicht mehr ausgesehen. Vielleicht doch Wahnvorstellungen? Immerhin war noch völlig ungeklärt, was die Sibir in die Katastrophe gestürzt hatte. Und wenn dort ein Yogavirus oder etwas Ähnliches existierte, dann war es logisch, daß die, die seit Wochen mit Melan experimentierten, zuerst befallen wurden.
»Aber weshalb blieben Sie davon verschont?«
»Der Professor war alt. Außerdem hielt er sich öfter und länger im Labor auf als ich.«
Dutch nickte nachdenklich. »Suchen wir dennoch danach, ob er eine Botschaft hinterlassen hat!«
Sie stimmte ihm zu, hielt ihn aber am Arm fest, als er sich an den Geräten und Einrichtungselementen zu schaffen machte. »Bitte, lassen Sie mich das tun. Ich bin der Fachmann.« Sie lächelte entschuldigend.
»Bitte«, murmelte Dutch.
Systematisch begann sie den Raum zu prüfen. Anfangs nur mit den Augen.
»Er war ein respektabler Mann«, sagte Dutch leise. »Ein Gelehrter von Weltruf, der ein bescheidener Bürger geblieben war, mit einem offenen Herzen für seine Mitmenschen. Er liebte die Antike. Eigenartigerweise zog er die Römer den Griechen vor. Wahrscheinlich, weil sie politisch die aktiveren Weltgestalter waren. Ich nehme an, daß jede seiner – von, manchem belächelten – lateinischen Redensarten, die er bei seinen Gesprächen von sich gab, der Ausspruch eines berühmten Mannes der ganz alten Zeit war. So ein Mensch ordnet seine Geschäfte, ehe er das Erdendasein beendet.«
Sibyll sah die Textspeicher durch. Dann alle Behälter, Fächer, den Inhalt der Sevoelemente.
»Kann ich helfen?«
»Beginnen Sie von der Türseite her.«
Dutch beteiligte sich an der Durchsuchung.
Sie fanden nichts.
Sibyll fing an, unsicher zu werden. »Es hilft nichts, wir müssen Goa Sung im Med-Punkt untersuchen lassen.«
Dutch lehnte ab. »Vielleicht hat er etwas im Labor hinterlegt?«
Sie blickte ihn skeptisch an. »Dort wäre es noch schwieriger, etwas zu finden.«
Dutch drückte die Videotaste, mehr zufällig als absichtlich.
Auf dem Schirm erschien Goa Sung. Sie sahen ihn und hörten seine letzten Worte.
»Kommandant. Meine Freunde. Ich bitte euch um Vergebung, daß ich den Frevel beging, menschliches Leben anzutasten. Mein eigenes. Und weil ich mein Amt mißbrauchte.«
Hier machte er eine Pause.
»Fata viam inveniunt. ∗ Sibyll Kelton wird schnell meine Manipulation mit der Schaltung entdecken. Ich wollte es nicht wahrhaben, was Melan uns mitzuteilen kam. Er setzte mehr als sein Leben ein. Ich habe kein Recht, seine Botschaft zu unterschlagen: Die Sibir ist von Yogaleuten gekapert worden. Die Yogazivilisation ist technisch der unseren ebenbürtig oder sogar überlegen. Ihre Sozialstruktur ist inhuman geblieben.«
Goa Sung sprach Satz um Satz in seinem korrekten, am klassischen Latein geschulten Stil. Ab und zu fügte er eine lateinische Sentenz ein. Er analysierte sein Handeln, stellte fest, daß er als Bürger und Wissenschaftler versagt hatte. Sein Weltbild, sein Glaube an ein Universum des humanen Friedens der Zivilisationen, war zerbrochen, und seine Manipulationen, um den anderen die bittere Wahrheit vorzuenthalten, erkannte er als feige Flucht. Er hatte sich das Urteil gesprochen und auch an sich selber vollstreckt. »Melan wird euch informieren. Aber seine Lebensreste sind fast verbraucht. Nur genau dosierte Belastung verspricht maximale Ergebnisse. Die Tabellen dafür sind im Laborcomputer gespeichert. Meine wohl letzte Erkenntnis lautet: Bleibt wahrhaftig und werdet wehrhaft. Ich kann es nicht.« Das Bild erlosch.
Pierre Dutch zwang sich, den still ruhenden Toten anzusehen, um seiner Erschütterung Herr zu werden.
Sibyll Kelton schien weniger beeindruckt zu sein. »Kommandant, wir müssen den diensthabenden Arzt informieren.«
Ihre Mahnung löste Dutch aus seiner Erstarrung. »Noch nicht. Ich… wir
Weitere Kostenlose Bücher